Die Schluesseltraegerin - Roman
Teck, um zu sehen, dass er bloß keine Rübe vor euch versteckt, und selbst wollt ihr Ware am Kirchenzehnt vorbeimogeln.«
»So ist es. Aber ihr könnt froh sein, euch erwartet das schönere Ziel. Viel lieber würde ich mit euch reiten, um die Friesen zu treffen.«
»Warum willst du sie treffen?«, wollte Inga wissen.
»Wenn ich ehrlich bin: Mich hält hier nichts mehr. Was habe ich hier verloren? Einen eigenen Hof werde ich nie besitzen, und das Kriegshandwerk, so wie Ansgar es als Nachgeborener gelernt hat, ist nichts für mich. Viel lieber würde ich ein richtiges Handwerk erlernen, Bronzegießer, Gold- oder Silberschmied. Doch solche werden hier nicht benötigt. In den Küstenorten – dort, wo die Friesen und Nordmänner ihre Waren lagern, in Haithabu zum Beispiel -, da werden solche Männer gebraucht. Ich habe mich schon schlau gemacht: Tatsächlich gibt es an diesen Orten zahlreiche Werkstätten, in denen edle Dinge hergestellt werden. Nicht etwa Sicheln, Wagenräder oder Äxte zum Holzfällen, sondern herrliche Gefäße, Spangen, Amulette und Gürtelschnallen.«
»Du bist ein Träumer, Gernot«, sagte Inga, aber ihr gefiel, was der junge Mann erzählte.
»Ja, ein Träumer. Zumal ich dergleichen noch nie gemacht habe. Erlernen müsste ich erst alles, und dazu bin ich bereits zu alt. Es wird wohl ein Hirngespinst bleiben, aber dennoch würde ich mich gern mit ihnen unterhalten – den friesischen Kaufleuten – und mehr erfahren über ihre Schiffe, ihre Waren und ihre Handelsniederlassungen dort oben am großen Meer.«
»Vielleicht sind sie ja noch länger hier. Ich werde sie fragen,
und falls sie erst morgen aufbrechen, kannst du ihnen ja noch einen Besuch abstatten.«
»Das wird meinem Bruder gar nicht gefallen.«
»Er muss es ja nicht wissen«, zwinkerte ihm Inga zu.
»Es macht mir Freude, über meine Pläne zu reden, aber leider müssen sich jetzt unsere Wege trennen.«
»Kehr nicht im Dunkeln heim, Gernot. Der Wald ist verhext«, rief Inga ihm nach. Ihre Stimme war bei diesen Worten ernst geworden.
»Ich mache einen großen Bogen um ihn«, lachte er und galoppierte davon.
Inga und Almut zogen weiter. Ihr Weg war weniger düster, sondern führte zunächst durch die Siedlung des Liudolf und dann weiter das Tal entlang durch eine weitere Siedlung, die ebenfalls von der Sippe des Liudolf gegründet, aber schon lange in Königsbesitz – das hieß: nun in Klosterbesitz – übergegangen war. Sie begegneten vielen Menschen. Die meisten grüßten freundlich, schwatzten ein wenig mit den beiden vom Hilgerschen Hof, fragten nach dem Wohin und Weshalb und bewunderten die feinen Tuche, von denen sie behaupteten, dass sie eher einer Edeldame als einer einfachen Landfrau zu Gesicht stünden. Inga nahm dies als Kompliment.
Nur ein einziges Mal wurde ihr ein wenig flau im Magen: Gerade als sie die erste Talsiedlung verlassen hatten und dem Bachlauf, der sie unmittelbar zur Weser bringen würde, folgten, kam ihnen ein Ochsengespann entgegen. Inga erkannte sofort in dem Lenker des Wagens einen der zwei Buben, die sie noch kürzlich in bestimmter Absicht durch den Wald gejagt hatten. Sie schaute ihn nicht an. Almut jedoch grüßte ihn verlegen lächelnd, als er an ihnen vorüberfuhr, und auch er brummelte einen verlegenen Gruß zurück, gab dann seinen Ochsen die
Peitsche und versuchte möglichst schnell und möglichst unbefangen wirkend davonzukommen.
Inga war erleichtert. Sie hoffte, dass er und seine Freunde niemandem von dem Vorfall erzählten, dass es ihnen selbst zu peinlich sei. Denn wenn bekannt würde, dass die Witwe vom Hilgerschen Hof mit den Geistern des Kapenwaldes in Verbindung stand, könnte es mit ihr ein schreckliches Ende nehmen. Schon lange waren keine Unholdinnen mehr ertränkt worden, doch es war in dieser Gegend durchaus vorgekommen. Noch in Ingas Kindertagen hatte es einen Fall gegeben.
Am Mittag erreichten sie die Weser. Und tatsächlich, die Bettler hatten nicht übertrieben: In den zwei Jahren, in denen sich die Mönche aus dem entfernten Corbie an diesem Fluss im tiefsten Sachsen niedergelassen hatten, war der Flecken Huxori um einiges gewachsen. Inga traute ihren Augen kaum. Die große Kilianikirche kannte sie bereits, sie war schon vor Ankunft der Brüder errichtet worden. Aber die vielen neuen Häuser setzten sie in Erstaunen: Da waren zahlreiche große und kleine Hütten, Schmiedewerkstätten, Töpferbetriebe; ja, sogar einen eigenen Bäcker hatte der Ort und dazu ein Haus,
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