Die Schluesseltraegerin - Roman
Kinder. Versprechen uns ein Leben nach dem Tod, wenn wir ihnen in diesem Leben all unser Land vermachen«, fügte Ansgar nüchtern hinzu.
»So ist es«, bestätigte Anselm, ein ruhiger Mann, der bislang fast gar nicht gesprochen hatte. »Als der Gebhard – ihr wisst schon, der aus dem Wiesengrund – als der letzten Sommer im Sterben lag, da kam doch tatsächlich einer der Mönche aus dem fernen Weserkloster über die Berge bis zu Gebhards Sterbebett. Und dann hat er ihm von der Hölle und den Qualen berichtet, die ihn dort erwarten, es sei denn, er vollbringe vor seinem Tod noch eine christliche Tat. Und diese christliche Tat bestand darin, sein gesamtes Land dem Kloster zu vermachen. Und seine Kinder wurden somit zu Hörigen.«
»Das stimmt nicht, Anselm«, ging ein anderer Gast dazwischen. »Gebhard hat es aus freien Stücken gemacht. Sein Sohn war noch zu jung, um einen eigenen Hof zu übernehmen. Ihnen ergeht es als Vasallen nun besser als zu Lebzeiten des Vaters.«
»Wie auch immer«, ergriff wieder Liudolf das Wort, »die Mönche sind da und wollen aus uns bessere Menschen machen. Warten wir ab, wie ihnen das gelingen wird. Fest steht, dass hinter ihnen eine Macht steht, die stärker ist als wir. Das gilt es ein für allemal hinzunehmen. Aus anderen Gauen vernahm ich, wie die Franken die letzten Freien zu drangsalieren verstehen. Immer wieder werden die Männer zum Kriegsdienst gerufen. Selbst gegen die kleinsten Räuberbanden müssen sie in die entferntesten Gegenden ziehen. Ihre Länder veröden, während diejenigen, die sich unter die Herrschaft eines Klosters oder eines Edlen begeben haben, nicht in den Kampf zu ziehen brauchen.«
»Solchen werden ihre Waffen genommen. Sie sind ehrlos«, murmelte Ansgar, vor sich hinstarrend.
»Bin ich etwa ehrlos? Trage ich etwa keine Waffen? Auch ich bin zu einem Teil Vasall des Klosters.« Liudolfs Stimme wurde lauter und klang gereizt.
»Noch, Liudolf, noch lassen sie dich deine Waffen tragen«, lächelte Ansgar bitter.
»Besser ist es, wir verabschieden uns für heute«, sagte Liudolf schließlich, stand schwankend auf und klopfte Ansgar auf die Schulter. »Morgen sind wir dabei, wenn ihr Rothger zu seiner Grabstatt bringt.«
»Nun ist er also unter der Erde.«
»Bereits im Morgengrauen sind sie losgezogen.«
»Und sie alle glauben an einen Unglücksfall?«
»So ist es.«
»Sollen sie. Irgendwann werden sie es schon noch mit der Angst zu tun bekommen. Du weißt, was als Nächstes zu tun ist.«
»Ich weiß, und ich weiß auch bereits, wie es geschehen wird.«
»Ich verlasse mich ganz auf dich. Bei dieser Aufgabe bedarfst du meiner Hilfe nicht.«
»Dennoch wird es nicht einfach sein.«
»Du wirst es schon schafen. Es wäre zu gefährlich für uns, es nicht zu tun.«
»Ich weiß.«
»Es wird langsam kalt. Du solltest mir bald einen neuen Mantel bringen.«
»Ich bringe dir einen aus Schafsfell, der hält dich warm.«
»Pah. Aus Schafsfell? Soll ich herumlaufen wie ein Bettler?«
»Es sieht dich ohnehin niemand. Ich muss jetzt gehen. Werde wiederkehren, wenn der nächste Schritt vollbracht ist.«
»Lass dir nur Zeit. Trödle herum und warte, bis ich erfroren bin in dieser Wildnis.«
»Schimpf nicht. Du weißt, dass du dich auf mich verlassen kannst. Ich stehe zu meinem Wort.«
Den Abend nach der Beisetzung Rothgers verbrachte Inga in der Spinnstube. Diese befand sich in einem der Grubenhäuser, kleine, zu einem Drittel in den Boden eingegrabene und mit einem Strohdach versehene Hütten, in denen es in den kalten Jahreszeiten erstaunlich warm und gemütlich war. Inga saß gerne dort am Spinnrad, am liebsten allein oder zusammen mit den Mägden; nicht so gern mit Berta und Gisela, den neugierigen Jungfern.
An diesem Abend jedoch waren es eben diese beiden jüngsten Schwestern ihres verstorbenen Mannes, die an den zwei anderen Rädern sponnen, Inga immer wieder verstohlen ansahen und ständig miteinander flüsterten.
Inga hatte sie noch nie ausstehen können. Die Zwillinge hatten bereits ihr zwanzigstes Lebensjahr überschritten, aber noch immer keinen Mann gefunden. Das heißt, keinen, der ihnen gut genug gewesen wäre. Dabei, so dachte Inga, hatten sie ihr eigenes Spiegelbild doch stets vor Augen und müssten nur zu
gut wissen, dass es um ihre Schönheit nicht gerade zum Günstigsten bestellt war. Doch selbst zu dieser Erkenntnis waren sie offensichtlich zu dumm. Und ihre Dummheit sowie ihr boshaftes Wesen zeigten sich an diesem Abend
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