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Die Schmerzmacherin.

Die Schmerzmacherin.

Titel: Die Schmerzmacherin. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlene Streeruwitz
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Und begann zu gehen. Lautlos. Manchmal ein Tappen. Das Licht. Eine Kette von Leuchtröhren hinter eckigem Glas. Ein Glaskanal von Licht an der Decke oben. Kein Schatten. Sie wanderte unter diesem Licht. Ging. Sie ging in der Mitte des Gangs. Keine Sehnsucht bei anderen auszulösen. Hier waren nur sehr schwer kranke Frauen. Sie alle lagen mit dem Blick zur Tür. Alle mit der Hoffnung, die Tür ginge auf und die Retter träten ein und sie würden noch einmal etwas gefragt. Was es ergeben hatte. Eine Weisheit. Einen dieser Sätze, die so hingesagt dann doch Zusammenfassungen waren. Wofür es sich ausgezahlt hätte. Wofür gelohnt. Wofür nicht. Aber das wäre eben erst jetzt zu wissen.
    Sie ging. Sie hätte ein Amt für letzte Fragen einrichten wollen. Alle diese Personen. Unter ihren Schlaftabletten begraben. Beruhigt und begraben. Aber vorher. Es musste doch etwas hinterlassen werden. Das Gesicht von der Tante Trude zerfiel in Mitleid, wenn sie sie so sah. Sie hob dann die Hand. Die Hand fiel aus Schwäche auf die Decke zurück. Aber das war die Wiederholung. »Meine arme Mali.« hatte sie gesagt. Da war sie noch nicht so schwach gewesen. »Meine arme Mali.« Wenn man so jung wäre wie sie. Die Mali. Dann wäre das mit dem Sterben. Das wäre so unvergleichlich viel schwieriger. Sie. Die Tante Trude. Sie habe die meiste Angst vor dem Sterben gehabt, da wäre sie etwa in dem Alter gewesen wie sie jetzt. Und es tue ihr so leid, dass die Mali das nun auch lernen musste. Sie hätte sich so sehr gewünscht, dass sie das. Dass sie beide das ihrer Mali hätten ersparen können.
    Sie ging. Eine Krankenschwester kam um die Ecke. Ging in ein Zimmer. Ein grünes Licht ging an. Über der Tür. Sie wanderte weiter. An einer Tür weiter oben begann das rote Licht zu blinken. Weit entfernt war der Alarmton im Schwesternzimmer zu hören. Es kam niemand. Sie ging an die Ecke. Die Schwester da telefonierte. Sie ging zurück. Die Tür stand offen. Das Licht brannte im Zimmer. Sie hörte Stimmen. Sie ging an der offenen Tür vorbei. Zur Stationstür. Sie drehte dort um. Sie wollte nicht an der offenen Tür noch einmal vorbei. Die zweite Krankenschwester kam den Gang herunter. Verschwand in der offenen Tür. Der Druck auf ihrer Brust wurde unerträglich. Sie nahm ihre Schuhe und das Mineralwasser vom Boden und schlüpfte in das Zimmer der Tante Trude.
    Sie stellte die Schuhe neben die Tür. Der Boden klebrig. Putzmittel und ihr Schweiß. Sie schlich ans Fenster. Drehte die Flasche auf. Langsam. Das Zischen der Kohlensäure so leise wie möglich. Sie trank. Das Wasser lauwarm. Die Kohlensäure bitterscharf. Sie schaute hinaus. Horchte. Das Summen der Klimaanlage. Der Atem. Draußen. Der Verkehr am Gürtel. Der Lärm kein Geräusch. Mehr eine Kulisse.
    Am Fenster stehend. Sie flüsterte. Sie begann zu flüstern. Dass sie reden solle. Mit ihr. Dass die Krankenschwestern gesagt hatten, das beruhige. Jemand am Bett sitzen und reden. Vor sich hin erzählen. Die Stimme allein wäre schon eine Beruhigung. Aber Flüstern. Das Flüstern machte die Sätze scharf. Schneidend. Das Flüstern. Ihr Reden wurde zu einem Zischen. Ein langes, scharf schneidendes Zischen. Gegen das Fensterglas. Sie hielt inne. Sah den Autos zu. Wie sich die Lichter vor der Ampel unten versammelten. Wie die Horde der roten Rücklichter dann wieder um die Kurve zur Volksoper verschwanden. Die Straße leer. August. Die Wiener nicht in Wien. Wer nicht musste, war nicht in der Stadt. Die Touristen. Die kamen nicht an den Gürtel. Nicht an diesen Teil. Die Rotlichtbezirke alle nach links hinüber. Kaum Licht in den Häusern auf der anderen Seite.
    In den Bergen. Man sollte in den Bergen sein. Sie begann zu murmeln. Tief in der Kehle. Die Töne in die Brust zerfließend. Man sollte in den Bergen sein, sagte sie. Da wäre es jetzt kühl. Man könnte nur mit einer Strickjacke noch auf der Veranda sitzen. Oder am Toplitzsee. Im Garten am Wasser. In der Fischerhütte. Salzkammergut. Mit dem Mammerl. Sie sollten alle dahinfahren. Da konnte man gut schlafen. Da kühlte es ab. Am Abend. Da musste man dann schnell gehen. Vom Toplitzsee zum Parkplatz. So kühl war das. »Dir würde das guttun. Die gute Luft. Die schönen Tage und die Hitze. Es ist sicher schon dieser Herbstschleier in der Luft. Am Nachmittag. Die Sicht schon nicht mehr Sommer. Nicht mehr ganz Sommer. Die Abende. Wenn die Felsen knacken und stöhnen. Von der Abkühlung. Da würdest du gut schlafen. Weit weg. Hinter den

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