Die Schmerzmacherin.
Da, wo das Mineralwasser zu holen war. Sie ging dahin. Sie hatte die falschen Schuhe an. Jeder Schritt. Die Absätze. Sie ging. Kam an den Tisch. Kekse. Mineralwasser. Äpfel. Tee. Sie nahm eine Flasche Mineralwasser und ging zurück.
Sie hatte gehofft, hinausgehen zu können. Im Liftfoyer zu sitzen. Andere Personen kommen und gehen sehen. Den Lift klingeln hören und sich fragen, wer da aussteigen würde. Den Krankentransporten zusehen. In die Halle fahren. Mit den Schlaflosen da. Auf einer Bank sitzen. Hinausgehen. Die Abendluft. An den Rauchern vorbei in den Garten. Tief atmen. Die Abende waren schon wieder kühl.
Aber es war nicht möglich. Sie konnte die Nachtschwestern nicht anklingeln, und sie konnte hier nicht auf und ab gehen. Sie war zu laut dafür. Warum hatte sie nicht irgendwelche sneakers angezogen. Warum hatte sie diese pumps an. Tante Trude freute sich, wenn sie hübsch aussah. Aber es war ihr jetzt. Jetzt war es ihr gleichgültig. Sie konnte es nicht einmal sehen. Wenn sie einen ansah. Sie dachte, dass der Tante Trude schwindelig sein musste. Dass es sie im Kopf herumdrehte. So wie sie einen ansah. So bemüht, einen zu fixieren. Sie streckte den Kopf vor, genauer zu sehen, wer da war, und ließ sich auf die Pölster zurückfallen. Erschöpft und verwirrt. Das wäre mehr die Wirkung der Chemotherapie. Der Onkel Schottola wiederholte ihr das, was die Ärzte ihm gesagt hatten. Er sagte es ihr beschwörend. Es ihr zu sagen machte es ihm glaubhafter. Aber.
Sie konnte das nicht glauben. Sie konnte nur sehen, dass die Tante Trude gequält war. Gequält wurde. Dass sie alles verloren hatte, was ihr wichtig gewesen war. Klarheit. Übersicht. Ruhe. Die Tante Trude. Sie war ja auch fahrig geworden. Ängstlich. Weinerlich. Verändert. Vollkommen verändert. Das konnten sie gar nicht besprechen. Der Onkel und sie. Wie verloren sie war. Wie jeder Souveränität beraubt. Wie sich alles verkehrt hatte. Wie sie alles zurückgeben mussten, was sie von der Tante Trude bekommen hatten. Es war, als sammelte sie alles wieder ein. Sie musste das als ein Privileg ansehen. Sie musste das als Geschenk nehmen. Dass sie zurückgeben durfte, was sie bekommen hatte. Aber sie hätte schreien können. Sie hatte nichts herzugeben. Sie fand gar nichts. Sie war entsetzt. Sie war entsetzt, weil sie so leer war. Leer und trocken. Sie musste die Liebe spielen. Sie trat als ihre eigene Schauspielerin auf. Sie hätte darüber laut brüllend heulen können. Sie hatte keine Gefühle für diese Frau. Für die ihr liebste Person. Die in Not war. Und sie war nur trocken und leer. Sie bekam nicht einmal feuchte Augen, wenn sie an das Bett trat. Die gelbgraue Haut. Das verschrumpelte Gesichtchen. Die dünnen Härchen. Die winzigen Händchen. Der Geruch. Ihr wurde nur der Hals trocken, und sie verschluckte sich an der Trockenheit tief im Rachen. Sie war eine schreckliche Person. Dabei hätte sie diese Personen. Die Tante Trude und den Onkel Schottola. Sie hätte diese Personen so gerne geliebt. Umfangen und geliebt. Gerettet. Sie hätte sie einsammeln wollen und wegführen. Wegfahren. Auf eine griechische Insel. Eine Insel schien ihr der richtige Ort. Vom Meer umspült und sicher. Auf eine Insel gerettet. Aber die griechischen Inseln waren von Erdbeben bedroht und glühend heiß. In den Norden. Das wäre besser gewesen.
Sie konnte nicht in das Zimmer zurück. Sie stand mit der Flasche Mineralwasser im Arm da. Alle Zimmertüren geschlossen. Das Schwesternzimmer um die Ecke. Sie konnte da einmal vorbeigehen. Auf dem Weg zur Toilette. Sie konnte da die beiden Nachtschwestern sehen. An den Schreibtischen. Vor den Bildschirmen. Aber das konnte sie nicht öfter machen. Sie war keine Katze. Sie konnte nicht diesen Krankenschwestern um die Beine streifen. Nur um zu wissen, dass sie nicht allein war. Mit der Tante Trude. Dass es Menschen gab, die normal atmeten. Deren Atem selbstverständlich nebenbei vor sich ging. Deren Atem sich nicht abgetrennt hatte und mit jedem Einatmen in die Frage geriet, ob es weiterging. Weitergehen sollte. Zögernd. Vor dem Ausatmen ein langes Zögern. Vor dem Einatmen ein Abwarten.
Das Mineralwasser. Die Glasflasche kühl gegen die nackten Arme. Sie stand da. Sie wollte gehen. Laufen. Sich bewegen. Die Unruhe wenigstens herumtragen. Mit der Unruhe in Bewegung. Die Unruhe nicht so vollkommen gegen sich. Sie zog die Schuhe aus. Sie trug die pumps und das Mineralwasser. Stellte alles neben die Zimmertür. Ganz unten am Gang.
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