Die Schmerzmacherin.
Realsimulation.
»Von Simulation war nicht die Rede. Junge Dame.« Der Mann blieb vor dem Tisch stehen. Wie sie auf die Idee kommen könne, dass das nicht die Wirklichkeit wäre. Ihr war noch übel vom Schlag in den Bauch. Trüb im Kopf vom Knall gegen die Wand. Ihr war kalt. Ihr war kalt von einem dünnen Schleier Schweiß auf ihrer Haut. Auf dem ganzen Körper. Klebrig kalt. Sie holte tief Luft. Während des Luftholens musste sie sich fragen, woher frische Luft käme. Hier. Drinnen. Frischluft. Tiefe Atemzüge und Ruhe. Kühle leere Luft. Und ein Duft. Wiese. Sie lehnte sich zurück und schlug die Beine übereinander. »Es kann uns doch hier niemand kontrollieren. Was verlieren Sie schon, wenn wir uns einigen. Oder macht dir so etwas Spaß.«
Der Mann griff ihr über den Tisch unter das Kinn und verkrallte sich wieder im Pullover. Er beugte sich über den Tisch. Bohrte seinen Blick in ihre Augen. Sie hätte Sie zu ihm zu sagen. Wenn sie noch einmal du zu ihm sagte. Er ließ sie wieder los und hob die Hände hoch. Ließ die Arme fallen und begann, auf und ab zu gehen. Sie blieb sitzen. Sie legte ihre Hände auf ihre Oberschenkel. Setzte sich gerade auf. Spannte die Gesäßmuskeln an. Straffte den Rücken. Hob das Genick. Schob das Genick lange heraus. Sie atmete tief. Sie wollte diesen Mann nicht ansehen. Sie musste aber gegen den Wunsch kämpfen, diesen Mann anzuschauen. Ihm mit dem Blick zu folgen. Sie merkte gleich, wie er anders ging, wenn sie ihm dabei zusah. Sie wollte ihm das nicht lassen. Sie atmete tief und schaute vor sich auf den Tisch. Der Tisch. Eine Nirostaplatte. Die Sessel metallen silbrig. Die Tischbeine Metall. Die Platte aus Nirosta. Glatt glänzend. Eine spiegelnde glänzende Fläche. Sie beugte sich zum Tisch hinunter. Sie konnte dieses Putzmittel riechen. Ein Metallputzmittel war das. Das Mammerl hatte die Türklinken aus Messing damit poliert. Die Tante Trude hatte versiegelte Türklinken. Da musste man nur noch mit einem feuchten Tuch darüberwischen. Der Raum. Auch der Boden war sauber. Grauer Beton.
»Also gut. Fangen wir von vorne an. Ganz von vorne.« Der Mann hatte sich auf den Tisch gesetzt. Gleich neben ihr. Er schaute jetzt auf sie hinunter. Es hatte ihm wahrscheinlich keinen Spaß gemacht, zu ihr hinaufschauen zu müssen. Beim Niederschlagen.
Sie musste lachen. Es war ein Kichern. Zuerst. Das Kichern steigerte sich zu einem Glucksen. Dann lachte sie laut. Sie hielt ihren Kopf mit den Händen fest. Die Arme auf den Tisch aufgestützt. Die Kälte des Metalls sofort in den Ellbogen zu fühlen. Der Mann saß ruhig. Sie lachte. Wenn er sie jetzt gefragt hätte. Sie musste lachen, weil sie alle diese Skripten und Handbücher gelesen hatte. Da war natürlich nie dringestanden, wie ein Gefangener sich richtig verhielt. Immer nur der Interrogator. Der Befrager. Hätte sie zurückschlagen müssen. Das Lachen erstarb.
Sie saß starr. Entsetzt. Verwirrt. Den Tränen nahe. Wie viel Zeit war vergangen. 5 Minuten. Eine Viertelstunde. 2 Sekunden. Das waren Reaktionen. Zurückschlagen. Das war eine Reaktion. Aber ihr fiel das erst eine Stunde später ein. Sie wurde geschlagen, und sie hatte nur brave Ideen. Sie war unfähig. Nicht überlebensfähig. Der Druck hinter ihrem Nabel. Schreien. Schreien und sich auf diesen Mann stürzen. Den Kampf aufnehmen. Sie schrie sich selbst zu. Befahl sich, den Kampf aufzunehmen. Kämpfen. Es tobte in ihr. Die Hitze davon in ihr Gesicht gestiegen. Fiebrige Hitze. Der Mann saß neben ihr. Sie spürte seine Körperwärme. Ihre rechte Schulter. Die rechte Seite. Seine Wärme verstärkte ihre Hitze. Der Wunsch, sich anzulehnen. Anlehnen und nichts mehr. Ihn bestimmen lassen. Hier hinaus. Ins Freie. Es war kalt hier unten. Draußen war Frühling. Fast schon Sommer, so warm war es. Hier in diesem Hügelgebirge. Windig und leicht, und man musste nur einen der Waldwege von der Straße weg und den Wald riechen.
Sie stand auf. Sie zwang sich, sich nicht abzuwenden. Sich nicht auf dem Sessel nach links zu drehen und ihm auszuweichen. Sie stand auf und streifte ihn. Die winzige Berührung. Brechreiz. Sie musste sich am Tisch festhalten. Dann begann sie, auf und ab zu gehen. »Das ist alles kindisch.« sagte sie. Kindisch. Immer wieder musste sie »kindisch« sagen und gehen dabei. Der Mann sah ihr nicht zu. Er saß mit dem Rücken zu ihr. Sie sagte »kindisch« vor sich hin und überlegte, ob sie ihn außer Gefecht setzen konnte. Aber sie wusste währenddessen schon. Er
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