Die Schmetterlingsinsel
zurück.
»Vielleicht hätte sie das besser nicht tun sollen …« Verbittert verstummte Deidre, dann tönten Schritte durch den Raum. »Also gut, sie bleibt, bis sie ihr Kind hat. Dann sehen wir weiter. Wir tun unserer Pflicht auch Genüge, wenn wir ihr und ihrem Kind eine sichere Unterkunft suchen. Inmitten des Chaos können die beiden unmöglich für länger bleiben.«
»Aber das Chaos wird sich irgendwann auflösen …«
Deidre schien etwas getan zu haben, damit ihre Tochter verstummte.
Haben sie mich bemerkt?, fragte sich Beatrice bang. Nein, das war unmöglich, denn sie atmete nur flach und lehnte an der Wand wie eine Statue, die der Wind umgeworfen hatte.
»Wir behalten sie hier, wir lassen sie das Kind bekommen, dann sehen wir weiter. Wie du gesehen hast, sind all unsere Pläne zunichte gemacht worden, darum sollten wir in diesem Fall erst recht keine mehr machen.«
Damit wurde es ruhig. Die beiden hatten sich offenbar zu Bett begeben, ohne einen Nachtgruß, der ihre Unstimmigkeit aufgelöst hätte.
Da die Anspannung von ihrem Körper abfiel, spürte Beatrice nun wieder das Brennen in ihrer Kehle. Wasser. Ich brauche unbedingt etwas Wasser.
Mit zusammengebissenen Zähnen löste sie sich von der Wand. Von der unbequemen Sitzhaltung schmerzte ihr der Rücken, und ihre seit einem Monat dauerhaft angeschwollenen Knöchel spannten. Wäre dieses bohrende Bedürfnis nach Wasser nicht gewesen, hätte sie sich jetzt wieder hinge legt und darauf gewartet, dass der Schlaf kam. Doch wenn sie Ruhe finden wollte, musste sie erst einmal was trinken.
Draußen tastete sie nach dem Lichtschalter, doch die Lampe flammte nicht auf. Hatten sie einen Stromausfall, oder wurde der Strom nur rationiert? Beatrice erinnerte sich an den großen Sicherungskasten in ihrer Küche, in der zuweilen Sicherungen herausgedreht wurden, um zu erzwingen, dass dort kein Strom hindurchfloss.
Die verwaschenen Flecken Mondlicht halfen ihr allerdings recht gut bei der Orientierung. Den Gang entlang, die Treppe runter, dann nach rechts durch die zweite Tür. Wieder einen Gang entlang, dem Geruch nach Tee hinterher.
Die Stufen knarrten trotz ihres geringen Gewichts leise unter ihren Füßen, während sie so flach wie möglich atmend hinunterging. An der untersten Stufe musste sie erst einmal stehen bleiben, denn der Durst wurde zu einem körperlichen Unwohlsein, das sie schwanken ließ. Lichter, die gar nicht da waren, flackerten plötzlich vor ihren Augen. Nicht einmal das Schließen der Lider konnte sie vertreiben.
Mit klopfendem Herzen krallte sie ihre Hand in das Treppengeländer. Aus dem Augenwinkel heraus bemerkte sie eine Bewegung. Ein Umriss vor dem diffusen Licht, das durch die Glastüren des Ballsaals fiel. »Alles in Ordnung, Miss?«
Ein Reflex wollte Beatrice dazu bringen, einfach ja zu sagen, doch das konnte sie nicht. Die Worte wollten nicht aus ihr heraus.
»Miss, ich bin Dr. Sayers«, sprach der Mann weiter, der sich im nächsten Augenblick in ihr Sichtfeld schob. »Ich helfe Ihnen.«
Da gaben ihre Knie nach, und sie versank in Dunkelheit.
Erstes Buch
Das Geheimnis
Berlin, April 2008
Diana Wagenbach erwachte, als rötliches Morgenlicht ihr Gesicht streifte. Seufzend öffnete sie die Augen und versuchte, sich zu orientieren. Die mächtige Linde in ihrem Garten warf ihren Schatten gegen die hohen Scheiben des Wintergartens, der an das Wohnzimmer angrenzte. Lichtflecken waren über den dunkelroten Teppich verteilt, der das alte Parkett vor dem Zerkratzen bewahrte. Ein merkwürdiger Geruch hing in der Luft. Hatte da jemand Alkohol verschüttet?
Es dauerte eine Weile, bis Diana wieder wusste, wie sie auf das weiße Ledersofa gekommen war. Die Kleidung des vergangenen Abends haftete an ihrem Körper, ihre schwarzen Locken klebten schweißnass an ihrer Stirn und ihren Wangen, und ihre Lippen waren ganz trocken.
»O mein Gott«, stöhnte sie, als sie sich aufrichtete. Ihre Arme und Beine schmerzten, als hätte sie in der vergangenen Nacht Umzugskartons geschleppt. Das Liegen in einer seltsamen Stellung hatte ihrem Rücken zugesetzt.
Als sie gegen die Rückenlehne sank, traf sie beinahe der Schlag. Das Wohnzimmer sah aus wie ein Schlachtfeld, nicht etwa wegen einer wilden Party, sondern weil sie die Kontrolle über sich verloren hatte. Erschrocken rieb sie sich über die Augen und die Wangen.
Eigentlich war Diana ein ruhiger Mensch, mehr als eine Spur zu geduldig, wie ihre Bekannten fanden. Gestern hatte sie ihren
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