Die Schmetterlingsinsel
Magengrube. Das Wasser mochte vielleicht die Spuren der vergangenen Nacht von ihrer Haut und aus ihrem Haar waschen, doch rückgängig machte es nichts.
Das Schrillen des Telefons wollte Diana zunächst ignorieren. Wahrscheinlich war es Philipp, der mit einer dummen Entschuldigung ankam. Oder schlimmstenfalls fragte, wie es ihr ging. Da sie ihr Handy abgeschaltet hatte, hatte er keine andere Möglichkeit, sie zu erreichen.
Als der Anrufer nicht lockerließ und ihr durch den Kopf schoss, dass Eva Menzel, ihre Partnerin in der Anwaltskanzlei, am Apparat sein könnte, verließ sie in ein flauschiges blaues Handtuch eingewickelt das Badezimmer und ging in den Flur, wo sie den Hörer abnahm . Wenn es Eva ist, kann ich ihr auch gleich sagen, dass ich heute nicht im Büro erscheinen werde. »Wagenbach?«
»Mrs Wagenbach?«, fragte eine Stimme nach, die ihren Namen Wägenback aussprach.
Diana schnappte überrascht nach Luft. »Mr Green?«
Der Butler ihrer Tante bestätigte in schlechtem Deutsch, worauf Diana begann, Englisch mit ihm zu reden.
»Schön, Sie zu hören, Mr Green, ist alles in Ordnung?«
Wie lange war es her, dass sie mit ihrer Tante gesprochen hatte? Oder mit dem Butler, der als eine Art Vermittler diente und Tante Emmely den Hörer festhielt, weil ihre Arme seit einem Schlaganfall ihren Dienst nicht mehr richtig versahen.
»Ich fürchte, ich habe keine sonderlich guten Nachrichten für Sie.«
Die Worte trafen Diana wie eine Faust im Magen. »Spannen Sie mich bitte nicht auf die Folter, Mr Green, sagen Sie, was los ist.«
Der Butler zögerte noch einen Moment, bevor er wagte, das Unvermeidliche auszusprechen. »Ihre Tante hat leider vor zwei Tagen einen weiteren Schlaganfall erlitten. Sie befindet sich im St. James Hospital in London, doch die Ärzte wissen nicht, wie lange sie noch durchhält.«
Diana schlug die Hand vor den Mund und kniff die Augen zusammen, als könnte sie auf diese Weise die schlechte Nachricht abblocken. Doch da hatte sie sie schon in ihrem Kopf. Sah eine ältere Frau vor sich, deren rotblonde Haare allmählich zu Schnee wurden. Ein gütiges Lächeln rund um ihren runzligen Mund. Wie alt war Tante Emmely? Sechs- oder siebenundachtzig? Dianas Großmutter, Emmelys Cousine 2. Grades, die ungefähr zur gleichen Zeit geboren worden war, war bereits vor sehr vielen Jahren gestorben.
»Mrs Wagenbach?« Mr Greens Stimme wehte die Gedankenfetzen wie ein Windstoß fort.
»Ja, ich bin noch dran. Ich bin nur … geschockt. Wie konnte das passieren?«
»Ihre Tante hat ein gesegnetes Alter, Mrs Wagenbach, und das Leben war nicht immer freundlich zu ihr, soweit ich das beurteilen kann. Meine Mutter sagte immer, dass Menschen wie Spielzeug seien, früher oder später gehen sie kaputt.« Er machte eine kurze Pause, als würde er sich seine Mutter vorstellen. »Sie sollten kommen. Madam hat mir aufgetragen, Sie zu sich zu holen, solange sie noch einigermaßen bei Bewusstsein ist.«
»Sie hat also mit Ihnen gesprochen?« Ein kleiner, absurder Funke Hoffnung flammte in ihr auf. Vielleicht bekommen die Ärzte sie wieder hin. Hieß es nicht, dass erst der dritte Schlaganfall tödlich sei?
»Ja, aber sie ist sehr schwach. Wenn Sie ihren Wunsch erfüllen möchten, sollten Sie wenn möglich noch heute fliegen. Wenn Sie sich dazu entschließen, hole ich Sie persönlich vom Flughafen ab.«
»Ja, ich … ich komme. Ich … muss nur sehen, wann die nächste Maschine geht und ob dort noch ein Platz frei ist.«
»In Ordnung«, gab der Butler zurück. »Wären Sie so freundlich, mich kurz per E-Mail zu benachrichtigen, wann genau Sie ankommen? Ich möchte Sie ungern im Regen stehen lassen.«
»Das ist sehr freundlich von Ihnen, Mr Green, ich maile Ihnen meine Flugnummer, sobald ich sie habe.«
Wieder eine kurze Pause. Ein Knacken im Äther. War die Verbindung unterbrochen?
»Es tut mir wirklich sehr leid, Mrs Wagenbach. Ich werde alles herrichten, damit es Ihnen hier so gut wie möglich ergeht.«
»Das ist sehr freundlich von Ihnen, Mr Green. Vielen Dank und bis später.«
Als sie aufgelegt hatte, musste sie sich erst mal setzen. Natürlich nicht mitten ins Scherbenchaos, sie entschied sich für die Küche. Auch bei Emmely hatte sie immer in der Küche gesessen, wenn ihre Mutter Johanna und sie bei ihr zu Besuch gewesen waren.
Johanna hatte ein ganz besonders Verhältnis zu Emmely gehabt, hatte jene sie doch aufgezogen, nachdem ihre eigene Mutter bei ihrer Geburt in den Wirren des
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