Die Schmetterlingsinsel
eine hellrosa Bluse mit Matrosenkragen und zarter Stickerei aus der Schublade. »Ich glaube, die hier wird dir besser stehen als mir. Ich weiß ohnehin nicht, warum ich sie haben wollte, schau dir nur mein Haar an. Rot und rosa, das beißt sich doch.«
Ehe sich Beatrice dagegen wehren konnte, hielt Emmely ihr das Kleidungsstück schon vor die Brust. »Wusste ich es doch! Dir mit deinem dunklen Haar und der goldenen Haut steht die Farbe viel besser.«
»Aber mein Bauch!«, wandte Beatrice ein. »Ich werde in ein paar Wochen nicht mehr hineinpassen.«
»Bis dahin habe ich dir einen Pullover gestrickt. Außerdem bist du sowieso zierlicher als ich, gegen dich wirke ich wie ein Elefant!«
Die beiden Frauen sahen sich an, dann brachen sie in Gelächter aus.
Emmely verließ das Zimmer nicht, bevor sie Beatrice nicht noch einen Rock und eine Strickjacke sowie Unterwäsche und Socken herausgesucht hatte. »Neue Schuhe treibe ich auch noch auf, wir veranstalten gerade eine Wohltätigkeitssammlung, sofern ein passendes Paar dabei ist, lasse ich es für dich zurücklegen.«
Erschlagen von der ihr entgegengebrachten Freundlichkeit ließ sich Beatrice aufs Bett sinken. Die weiche Matratze gab sanft unter ihr nach, und den Laken entströmte der Duft von Lavendelseife. Beatrice streckte sich auf dem Bett aus und genoss zum ersten Mal das Gefühl, in Sicherheit zu sein. Auch wenn nicht klar war, wie lange sie bleiben konnte.
Bevor Emmely mit dem Wasser zurück war, waren ihr bereits die Augen zugefallen, so dass sie ihr Kommen nicht einmal mehr bemerkte.
In der Nacht jedoch schreckte Beatrice von einem schrecklichen Traum gequält auf. Sie hatte wieder vor sich gehabt, wie ihre Mutter und ihr Mann von ihr getrennt wurden, wie sie in dem furchtbaren Gedränge beinahe niedergetrampelt und dann von fremden Händen nach oben gerissen und ins Gebüsch gezogen worden war, während über ihnen die Tiefflieger brummten. Hilflos hatte sie zuschauen müssen, wie die Geschosse auf den Flüchtlingstreck niedergingen, wie ihre Mutter und auch ihr Mann, der wegen seines Asthmas nicht zur Front eingezogen worden war, in einem Berg von Leichen verschwanden.
In der Annahme, sich immer noch in dem amerikanischen Flüchtlingslager zu befinden, richtete sie sich auf, spürte dann aber die Wärme und sah das Glimmen im Kamin. Hinter den hohen Fenstern war alles ruhig. Ein beinahe vollkommener Vollmond mühte sich, den Schleier aus Nebel und Regen verkündenden Wolken zu durchdringen.
Auf dem Korridor ertönten leise Schritte. Eine Tür klappte. Wenig später drangen Stimmen gedämpft durch die Wand. Was sie besprachen, verstand Beatrice nicht, doch eine innere Unruhe zwang sie, ein wenig näher an die Wand zu rücken und das Ohr an die verblasste Tapete zu legen, der ein seltsamer Geruch entströmte.
»Woher sollen wir denn wissen, dass sie es wirklich ist? Sie könnte den Brief gefunden haben.« Deidre klang aufgebracht. Hatte sie es sich überlegt? Doch wohin sollte Beatrice dann? Hier in England kannte sie niemanden.
»Ich glaube nicht, dass sie den Brief nur gefunden hat«, verteidigte die jüngere sie. »Er hat kein Geld enthalten, glaubst du, eine Landstreicherin interessiert sich dafür?«
»Immerhin bekommt sie Hilfe versprochen.«
»Doch sie muss auch damit rechnen, dass man die Person kennt!«, hielt Emmely weiterhin dagegen. »Hast du ihr Haar gesehen? Und ihr Gesicht?«
»Es gibt viele schwarzhaarige Mädchen, vielleicht hat sie sich diesen Umstand zunutze gemacht.«
»Mutter!«, kam es vorwurfsvoll von Emmely. »Hast du nicht genau hingeschaut? Man sieht es. Auch wenn sie die Enkelin ist, man sieht es genau.«
Was sieht man?, fragte sich Beatrice, den Durst ignorierend, der ihr die Zunge an den Gaumen klebte. Auf einmal schlug ihr Herz wie im Fieber und ließ die Stimmen noch undeutlicher werden. Sie spürte, dass die beiden Frauen etwas über sie wussten, das ihr unbekannt war. Was war es?
Eine lange Pause entstand, an deren Ende Deidre sagte: »Du weißt, dass unsere Vorräte rationiert sind.«
»Du weißt, was Grandma Victoria immer gesagt hat«, wandte ihre Tochter ein.
»Ja, das …« Etwas schien in ihrer Kehle zu stecken, etwas, das herauswollte, aber es nicht durfte. »Alles Unsinn!«
»Trotzdem hast du ihr am Sterbebett versprochen, dass du dich an ihre Weisung halten und Graces Nachkommen in der Not helfen wirst, so, wie sie es damals ihrer Schwester versprochen hat«, gab ihre Tochter ruhig
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