Die Schneekönigin (illustrierte Ausgabe)
in den großen glänzenden Tälern; dort hat die Schneekönigin ihr Sommerzelt, aber ihr festes Schloss hat sie drüben gegen den Nordpol, auf der Insel, die Spitzbergen genannt wird!“
„Oh Kay, kleiner Kay!“ seufzte Gerda. „Nun musst du still liegen“, sagte das Räubermädchen, „sonst stoße ich dir das Messer in den Leib!“
Am anderen Morgen erzählte Gerda ihr alles, was die Waldtauben gesagt hatten, und das Räubermädchen sah ganz ernsthaft aus, nickte aber mit dem Kopf und sagte: „Das ist einerlei, das ist einerlei! — Weißt du, wo Lappland ist?“ fragte sie das Renntier.
„Wer könnte es wohl besser wissen, als ich!“ sagte das Tier, und die Augen funkelten ihm im Kopf. „Dort bin ich geboren und erzogen, dort bin ich auf den Schneefeldern herum gesprungen.“
„Höre!“ sagte das Räubermädchen zu Gerda. „Du siehst, alle unsere Mannsleute sind fort, jedoch die Mutter ist noch hier und sie bleibt zu Hause. Gegen Mittag aber trinkt sie aus der großen Flasche und schlummert dann ein wenig darauf; — dann werde ich etwas für dich tun!“ Nun sprang sie aus dem Bett, fuhr der Mutter um den Hals, zog sie am Knebelbart und sagte: „Mein einzig lieber Ziegenbock, guten Morgen!“ Die Mutter gab ihr Nasenstüber, dass die Nase rot und blau wurde, aber alles aus lauter Liebe.
Als die Mutter dann aus der Flasche getrunken hatte und darauf einschlief, ging das Räubermädchen zum Renntier hin und sagte: „Ich könnte große Freude davon haben, dich noch manchmal mit dem scharfen Messer zu kitzeln, denn dann bist du so possierlich; aber das ist einerlei, ich will deine Schnur lösen und dir hinaus helfen, damit du nach Lappland laufen kannst. Du musst aber tüchtig springen und dieses kleine Mädchen zum Schloss der Schneekönigin bringen, wo ihr Spielkamerad ist. Du hast wohl gehört, was sie erzählte, denn sie sprach laut genug und du lauschtest.“
Das Renntier sprang vor Freude hoch empor. Das Räubermädchen hob das kleine Gerda hinauf und hatte die Vorsicht, sie fest zu binden, ja sogar ihr ein kleines Kissen zum Sitzen zu geben. „Das ist einerlei“, sagte sie, „da hast du deine Pelzschuhe, denn es wird kalt, aber den Muff behalte ich, der ist gar zu niedlich! Darum sollst du doch nicht frieren. Hier hast du meiner Mutter große Fausthandschuhe, die reichen dir gerade bis zum Ellbogen hinauf; zieh sie an! — Nun siehst du an den Händen gerade wie meine hässliche Mutter aus!“
Gerda weinte vor Freude.
„Ich kann nicht leiden, dass du weinst!“ sagte das kleine Räubermädchen. „Nun musst du gerade recht froh aussehen; und da hast du zwei Brote und einen Schinken, dann wirst du nicht hungern.“ Beides wurde hinten auf das Renntier gebunden; das kleine Räubermädchen öffnete die Tür, lockte alle großen Hunde herein, durchschnitt dann den Strick mit ihrem scharfen Messer und sagte zum Renntier: „Laufe, aber gib recht auf das kleine Mädchen acht!“
Gerda streckte die beiden Hände mit den großen Fausthandschuhen gegen das Räubermädchen aus und sagte Lebewohl, und dann flog das Renntier über Stock und Stein davon, durch den großen Wald, über Sümpfe und Steppen, soviel es nur konnte. Die Wölfe heulten und die Raben schrieen. Es war gerade, als sprühte der Himmel Feuer.
„Das sind meine alten Nordlichter!“ sagte das Renntier, „sieh, wie sie leuchten!“ Und dann lief es noch schneller davon, Nacht und Tag. Die Brote wurden verzehrt, der Schinken auch, und dann waren sie in Lappland.
V or einem kleinen Hause hielten sie an, es war sehr ärmlich; das Dach ging bis zur Erde hinunter, und die Tür war so niedrig, dass die Familie auf dem Bauch kriechen musste, wenn sie heraus oder hinein kommen wollte. Hier war außer einer alten Lappin, welche bei einer Tranlampe Fische kochte, niemand zu Hause. Das Renntier erzählte Gerdas ganze Geschichte, aber zuerst seine eigene, denn diese erschien ihm weit wichtiger, und Gerda war von der Kälte so mitgenommen, dass sie nicht sprechen konnte.
„Ach, ihr Armen“, sagte die Lappin, „da habt ihr noch weit zu laufen! Ihr müsst über hundert Meilen weit nach Finnmarken hinein, denn dort wohnt die Schneekönigin auf dem Land und brennt jeden Abend bengalische Flammen. Ich werde ein paar Worte auf einen trockenen Klippfisch schreiben, Papier habe ich nicht, den werde ich euch für die Finnin dort oben mitgeben; die kann euch besser Bescheid erteilen als ich.“
Und als Gerda nun erwärmt worden war und zu
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