Die schöne Ärztin
sprechen.«
»Natürlich nicht. Aber merken Sie sich, wenn Ihre Ansprachen aufrührerischen Charakter annehmen, werde ich über den Bischof eine Meldung an Ihren Provinzial loslassen. Bisher herrschte Frieden in Buschhausen! Soll gerade die Kirche diesen Frieden stören?«
»Es herrschte nicht Frieden, sondern Blindheit!«
»Das ist Auffassungssache. Guten Tag!«
Pater Wegerich stand draußen auf dem breiten Flur und starrte auf das große Schaubild der Stollen und Sohlen von Schacht V, das die Längswand bedeckte. Ein imponierendes Bild, für einen Laien unvorstellbar, daß dies alles unter seinen Füßen war … 400 Meter, 600 Meter tief, eine Welt von Gängen, in denen 2.000 Menschen herumkrochen.
Dort lauert die Katastrophe, dachte Pater Wegerich. Dort werden Menschen sterben, ich weiß es so sicher, wie ich mein Brevier kenne. Und keiner will es glauben. Warum lassen sie sich nicht warnen? Jedem Tier hat Gott den Instinkt für die Gefahr mitgegeben, nur dem Menschen nicht. Das ist ein Fehler Gottes, so lästerlich es auch klingt.
Er verließ das große Direktionsgebäude und die Anlage der Zeche Emma II. Als er das Tor passierte und den Wachmann grüßte, fürchtete er, daß er bald, in gar nicht langer Zeit, wieder hier durchgehen würde, nicht als Kumpel, sondern als Priester und Tröster für die, die der Berg noch freiließ.
Es war eine dunkle Ahnung, die ihn maßlos bedrückte.
Die Kriminalpolizei hatte endlich Gelegenheit, die kleine Krankenschwester Carla Hatz zu verhören. Der Nervenschock war überwunden, nun lag sie im Bett, weinte ab und zu und erzählte stockend, wie alles geschehen war.
Soviel stand jedenfalls fest, Dr. Waltraud Born behielt zufällig oder instinktiv recht, es war keiner der Fremdarbeiter gewesen. Der Wüstling hatte ein unverfälschtes Ruhrdeutsch gesprochen, er stammte entweder aus Buschhausen selbst oder aus der Umgebung. Gesehen hatte Carla Hatz nichts, der Sack war ihr von hinten über den Kopf geworfen und der Hals zugedrückt worden, kräftige Hände hatten sie trotz aller Gegenwehr in die Bauhütte geschleift, und dann hatte sie nichts mehr gewußt, weil die Not, ersticken zu müssen, und ein wilder Schmerz, der ihr von den Schenkeln durch den ganzen Körper jagte, sie ohnmächtig hatten werden lassen.
Die Beamten der Kriminalpolizei waren ratlos. Mit einer solchen Aussage war kaum genug anzufangen, um den Täter zu ermitteln. Wenn er um die Tatzeit nicht von anderen Leuten in der Nähe der Halden gesehen worden war, würde man ihn schwerlich überführen können. Es drohte eines jener Verbrechen zu werden, deren Aktenstücke in den Regalen verstaubten.
Dr. Waltraud Born verlegte nach vier Tagen Luigi Cabanazzi in das Barackenlager. Sie tat es nach langem inneren Kampfe. Sie hatte Angst vor Veronika Sassen. Dann faßte sie aber den Mut, sich gegen Veronika aufzulehnen. Ausschlaggebend war ein Gespräch mit Dr. Fritz Sassen, der sie im Krankenrevier besuchte und die Gelegenheit benützte, sie zu küssen.
»Ich werde mit Papa reden«, sagte er entschlossen. »Im Augenblick ist er zwar voller Gift und Galle, aber er wird, soviel ich weiß, mit Veronika bald einige Zeit verreisen, und wenn er dann zurückkommt, wird er aufgeschlossen für alle Dinge der Liebe sein. Man muß bei so alten Herrn immer einen solchen Zeitpunkt abpassen, an dem sie selbst noch einmal voll von einschlägigen Gefühlen sind, die sie bei anderen tolerieren sollen.«
»Du bist frivol, Fritz«, sagte Waltraud, aber sie lachte dabei. Innerlich spürte sie Erleichterung. Fritz würde das schon schaffen. Eine neue Waltraud Born war plötzlich erstanden.
Das erlebte am nächsten Tag Veronika Sassen, als sie wieder, wie üblich, im Krankenrevier erschien, mit einer Tasche voll Obst und Rotwein, um Luigi Cabanazzi zu besuchen und sich mit ihm einzuschließen. Wie ein hungriges Tier kam sie jedesmal, gesättigt in einer ganz bestimmten Weise verschwand sie nach einer Stunde wieder. Es war eine Darbietung, die in Waltraud Born ohnmächtigen Widerwillen erregte.
An diesem Tage blieb Waltraud am Schreibtisch sitzen und kam Veronika Sassen nicht entgegen, wie es ihr die Höflichkeit trotz aller innerer Abwehr wieder geboten hätte.
»Cabanazzi ist nicht mehr hier!« sagte sie kurz.
Veronika Sassen erstarrte. »Was soll das heißen?«
»Er wurde verlegt in das Lager. Er liegt dort in seinem Bett in der Baracke Nr. 3.«
»Von wem stammt diese Anordnung?«
»Von mir.«
»Sind Sie verrückt
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