Die schöne Ballerina (German Edition)
legte ihm die Hand auf den Arm. »Du bist immer da, wenn ich dich brauche. Ich bin dir sehr dankbar dafür, Andy.«
Er brummte verlegen etwas vor sich hin und konzentrierte sich auf die Fahrbahn.
»Ich habe gehört, deine Mutter kommt uns heute Nachmittag besuchen.«
»Ja, ich weiß.« Andy hielt das Steuer so entspannt wie jemand, der nicht auf die Strecke zu achten braucht, weil er sie Tag für Tag fährt. »Sie will Mary überreden, diesen Winter endlich nach Kalifornien zu reisen. Ich glaube, es würde ihrer Hüfte gut tun.«
»Nicht nur der Hüfte. Sie braucht dringend ein wenig Abwechslung. Ich hoffe sehr, dass sie fährt.«
»Ist es ihr in den letzten Tagen wieder schlechter gegangen?«
Lindsay seufzte. Vor Andy brauchte sie ihre Gefühle nicht zu verbergen. Er war ihr bester Freund, und es gab nichts, worüber sie nicht mit ihm sprechen konnte.
»Gesundheitlich geht es ihr sehr viel besser. In den letzten drei Monaten hat sie große Fortschritte gemacht. Aber ihr psychischer Zustand …« Lindsay hob in einer hilflosen Gebärde beide Hände. »Sie ist deprimiert. Ruhelos. Enttäuscht und unzufrieden. Hauptsächlich meinetwegen. Sie will, dass ich nach New York zurückkehre und wieder auftrete. Sie stellt sich vor, ich könnte einfach dort wieder anfangen, wo ich aufgehört habe. Ich kann ihr noch so oft erklären, warum es nicht geht, sie hört nicht mal richtig zu. Manchmal kommt sie mir vor wie der Vogel Strauß, der den Kopf in den Sand steckt. Sie muss doch wissen, was es in diesem Beruf bedeutet, drei Jahre lang auszusetzen, drei Jahre älter geworden zu sein.« Sie lehnte den Kopf an die Nackenstütze und seufzte.
Andy überließ sie eine Weile ihren Gedanken. Eigentlich hörte er nichts Neues. Lindsay hatte ihm schon häufig ihr Leid geklagt. Dann sagte er leise: »Würdest du denn gern zurückkehren? Ich meine, wenn es möglich wäre?«
Sie drehte sich zu ihm herum und zog die Beine seitlich auf den Sitz. Nachdenklich und mit zusammengezogenen Brauen sah sie ihn an. »Ich weiß nicht recht. Wahrscheinlich nicht. Es würde doch nichts als Enttäuschung dabei herauskommen. Ich habe mich damit abgefunden, dass ich keine Primaballerina werde, und bin ganz zufrieden hier. Nur …«
»Nur?« Andy bog in eine Kurve ein und winkte im Vorüberfahren zwei Jungen auf Fahrrädern zu.
»Nun, manchmal bin ich doch ein wenig traurig. Die Bühne fehlt mir. Weißt du, ich habe diesen Beruf geliebt, auch wenn er mir manchmal das Letzte an Energie und körperlicher Kraft abverlangte. Ich war glücklich damals.« Sie lächelte ein bisschen wehmütig und lehnte sich wieder bequem in den Sitz zurück. »Nun, was vorbei ist, ist vorbei. Doch versuch mal, das meiner Mutter klar zu machen. Selbst wenn ich zurückwollte, bestünde wohl kaum eine Chance, dass mich jemand nehmen würde. Ich weiß auch gar nicht, ob ich heute noch dasselbe leisten könnte wie vor drei Jahren.«
Lindsay sah nachdenklich aus dem Fenster. Hinter den Bäumen zu beiden Seiten der Straße breiteten sich weite Stoppelfelder aus. Das Korn war schon lange abgeerntet. »Ich gehöre jetzt hierher. Hier ist mein Zuhause.« Sie lachte leise vor sich hin. »Kannst du dich noch an die Streiche erinnern, die wir als Kinder ausgeheckt haben? Weißt du noch, wie wir uns einmal nachts davongeschlichen haben? Wir wollten unbedingt Cliff House von innen sehen. Es stand damals schon lange leer, und wir wollten wissen, ob es da wirklich Fledermäuse gab. Jemand hatte uns erzählt, abends gingen dort Geister um.«
Andy musste nun auch lachen. »Fledermäuse haben wir zwar nicht gefunden, aber ich hätte schwören können, einen Geist gesehen zu haben. Wenn du wüsstest, wie ich mich gefürchtet habe. Meine Knie haben vor Angst geschlottert.«
»Du warst ja auch noch ziemlich klein damals«, meinte Lindsay liebevoll spottend. »Aber es war schon ein tolles Erlebnis. Ich war ganz überwältigt von der Schönheit des Hauses … Es ist übrigens verkauft worden.«
»Das habe ich auch schon gehört.« Andy sah sie kurz von der Seite an. »Hast du nicht damals geschworen, du würdest eines Tages darin wohnen?«
»Ja, habe ich. Es war mein großer Wunschtraum, ganz oben auf dem Turm zu stehen und wie eine verwunschene Prinzessin über das Land zu schauen. Ich stellte mir vor, wie wundervoll es wäre, in einem Haus mit hundert Zimmern zu leben und durch die endlos langen Korridore zu laufen«, erinnerte sie sich verträumt.
»Na, hundert ist ein bisschen
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