Die schöne Betrügerin
ich will, dass der Sie wegholt, bevor Sie die Miete bezahlen?«
Was bedeutete, dass Phillipa ab jetzt nicht mehr auf Mrs. Farquarts Verschwiegenheit zählen konnte. Sie hatte keine Zeit zu verlieren.
Phillipa eilte in ihr winziges nasskaltes Zimmer. Es gab kein Feuer, hatte nie eines gegeben, trotz der frühherbstlichen Kälte. Diese Sorte Zimmer verfügte nicht über Annehmlichkeiten wie Kohle oder dicke Decken.
Es dauerte nicht lange, bis sie ihre wenigen Habseligkeiten in die Tasche geworfen hatte, die sie auf der Flucht aus Arieta dabei hatte. Sie befingerte den geborgten Gehrock und zögerte.
Es war Zeit, die Sachen wieder in Bessies Kiste zu legen. Doch bevor sie zu Cunnington ging, auch noch neue Kleider zu kaufen, würde schwierig werden, das war ihr klar.
Trotzdem musste sie irgendwie neue Sachen auftreiben.
Es war schon schlimm genug, all diese Lügen erzählen zu müssen; sie wollte der Liste ihrer Sünden nicht auch noch einen Diebstahl hinzufügen.
Sie sah nach der Truhe, die am Morgen im Eingang gestanden hatte, doch sie war fort. War Bessie zurückgekehrt?
Mrs. Farquart kannte die Antwort. Sie stand mit verschränkten Armen in der Eingangshalle, säuerlichen Missmut ins zerklüftete Gesicht gegraben. »Die kommt nicht wieder. Umgebracht hat sie sich. Hat sich im Irrenhaus einfach so aus dem Fenster gestürzt.«
»Ach, die arme Bessie.« Phillipa presste sich eine Hand auf die Brust. Es war wahr, ihre Zimmernachbarin war todtraurig gewesen, aber Phillipa hätte niemals damit gerechnet, dass die Frau eine derart drastische Tat begehen würde.
»Ihre Familie war da und hat ihre Sachen geholt«, fuhr Mrs. Farquart fort und warf dabei einen Blick auf Phillipas kleine Tasche.
»So«, sagte Phillipa leise. Ihr war plötzlich entsetzlich zumute, weil sie die Kleider aus der Kiste genommen hatte. »Gut, dass Bessies Lieben wenigstens noch etwas vom Sold ihres Ehemanns haben.«
Es war nur eine unschuldige Anmerkung gewesen, doch Mrs. Farquarts Reaktion erfolgte grob und postwendend. Sie packte Phillipa fest am Handgelenk.
»Was wissen Sie von diesem Sold?«
Phillipa konnte nur noch fassungslos blinzeln und eine Antwort stammeln. »B-Bessie hat gespart und den Sold von zwei Jahren in der Kiste aufbewahrt. Sie und ihr Mann wollten einen Laden aufmachen, sobald er wieder zu Hause war.«
Wut und Angst ließen das Gesicht von Mrs. Farquart weiß wie Tünche werden. »Als ihre Familie die Kiste geholt hat, war kein Geld drin.«
Phillipa begriff nicht gleich. Doch dann kochte ihr eigener Zorn über, und sie wand sich aus dem Klammergriff der Pensionswirtin. »Also,
ich
habe es nicht genommen!«
»Müssen Sie aber!«, schrie die Frau. »Ja, Sie müssen es gewesen sein. Sie haben es genommen. Als ich Sie das erste Mal gesehen habe, war mir schon klar, dass Sie eine Lügnerin und eine Diebin sind!«
»Wenn es irgendwer genommen hat, dann waren Sie es, Mrs. Farquart. Sie boshafte, gottlose Frau! Ich bin so froh, aus diesem Haus herauszukommen!« Phillipa packte mit der einen Hand die Tasche, raffte mit der anderen die Röcke und rannte zur Tür. Mrs. Farquart war immer übellaunig und rüde gewesen, aber das jetzt flößte ihr wahrhaftig Furcht ein.
»Ich hetze Ihnen das Gesetz hinterher, Diebin!«, kreischte die Frau, während Phillipa auf die Straße trat und zu der Stelle eilte, wo die Droschke auf sie wartete. »Ich rufe ein paar Wachmänner, die sollen Sie gleich abholen!«
Der Zorn von Mrs. Farquart und ihre eigene Flucht an diesem immer dunkler werdenden Nachmittag trafen Phillipa plötzlich mit ihrer ganzen Absurdität, erschienen ihr lachhaft. Mrs. Farquart wollte ihr Angst einjagen, indem sie ihr mit den trägen, nur auf Belohnung erpichten Londoner Wachmännern drohte? Das sollte sie erschrecken, wo doch Napoleon höchstpersönlich hinter ihr her war?
3. Kapitel
Als James am Liar’s Club eintraf, der sich am Rande eines in Mode gekommenen Stadtviertels befand – einer Gegend, in der sich Unterwelt und Oberklasse trafen, um Unterhaltung und fleischlichen Gelüsten zu frönen – war der bereits graue Himmel von der Dämmerung überschattet, und in sämtlichen Kutschen und Karren hatte man die Laternen entzündet. An der Ecke direkt vor dem Club entdeckte James eine vertraute Gestalt. Ein zerlumpter kleiner Mann lehnte mit der Schulter am Eingang, gerade so vor dem Regen geschützt. James konnte das Gesicht nicht erkennen, doch die routiniert harmlose Ausstrahlung war typisch Feebles. Der
Weitere Kostenlose Bücher