Die schöne Betrügerin
sich tiefer in die abgenutzten Samtpolster der Droschke.
Sie riskierte einen Blick zurück, als der gemietete Wagen durch den spätsommerlichen Nieselregen rollte. Nachdem sie das Haus verlassen hatte, war sie sofort in eine Seitengasse gelaufen, hatte sich ihr Kleid über Weste und Hosen gezogen und den Hut auf das entstellte Haar gesetzt, bevor sie sich auf den Rückweg zu ihrer Pension gemacht hatte.
Sie traute ihrer Vermieterin Mrs. Farquart zu, dass sie ihr Vorhaben durchkreuzte, und sie wusste, ehrlich gesagt, auch nicht, wie sie sich als Mann durch die Stadt bewegen sollte.
Ihr schäbiges Kleid hatte die meisten Kutscher veranlasst, sie für gewinnträchtigere Fahrten stehen zu lassen. Sie hatte Glück gehabt, dass sie schließlich wenigstens diese heruntergekommene Kutsche ergattert hatte, die noch anrüchiger aussah als sie selbst. Trotzdem hatte der Kutscher ihre Börse sehen wollen, bevor er mit den Zügeln geknallt hatte.
Jetzt wünschte sie, Phillips Männerkleider ein wenig länger anbehalten zu haben. Folgte ihr wieder jemand? Sie war sich nicht sicher, genauso wenig wie bei früheren Gelegenheiten.
Seit sie auf der Flucht vor den napoleonischen Soldaten nach London gekommen war, um nach dem einen Mann zu suchen, dem ihr Vater vertraut hatte, spielte die Stadt ihren Augen, ihrer Erinnerung und ihrer Geldbörse Streiche.
Natürlich bestand die Möglichkeit, dass gar niemand hinter ihr her war. Sie zuckte vielleicht vor bloßen Schatten zurück, sah Dinge, die nicht da waren, französische Spione an jeder Ecke…
Aber sie waren schon einmal gekommen. In jener Nacht, als sie durch das spanische Dorf Arieta marschiert waren, um an die Tür der Villa zu pochen, in der sie mit ihrem Papa so friedlich gelebt hatte.
Papa hatte irgendwie genau gewusst, was die Soldaten wollten. Er hatte gehandelt, ohne überhaupt einen Blick aus dem Fenster zu werfen.
Während sie im Nachthemd am Fuß der Treppe gestanden hatte und eher wegen des unwirklichen Gefühls als vor Kälte gezittert hatte, war er in sein Arbeitszimmer gelaufen, hatte mit einem Handgriff den Wandsafe geöffnet und den Inhalt in eine Tasche geleert.
Er hatte sie angewiesen, Reisekleider und ein paar Stiefel aus ihrem Zimmer zu holen, und sie dann in die kleine Vertiefung beordert, die sich mit einem Mal neben dem Kamin im hinteren Salon aufgetan hatte.
Die Zelle war kaum größer als eine Seekiste gewesen, zum Stehen nicht hoch genug und zum Liegen nicht ausreichend breit. Er hatte sie samt ihren Sachen hineingepresst und ihr seinen Ranzen auf die Füße gelegt.
»Das sind Napoleons Männer. Halt dich still. Kein einziges Wort. Ich lasse dich bald wieder heraus. Falls ich… falls ich es nicht tue, gehst du nach London«, hatte er geflüstert. »Andere deinen Namen. Reise unauffällig. In der Tasche ist etwas Geld, genug für die Überfahrt. Geh zu Martin Upkirk in der Cheapside High Street.«
»Aber Papa, was -«
Er hatte ihr den Finger auf die Lippen gelegt, ihr einen Kuss auf die Stirn gedrückt und sie im Dunkeln eingeschlossen. Sie hatte gewartet, und ihr gewohnter Gehorsam hatte gegen den Impuls gekämpft, aus dem Versteck zu stürmen, während sie mit den Händen das Gesicht bedeckt gehalten und auf die gedämpften Laute draußen vor ihrer kleinen Zelle gelauscht hatte.
Vaters Stimme, scheinbar ruhig und sorglos. Eine tiefere Stimme, grob und ungeduldig. Wütende, nicht wirklich verständliche Worte. Dann eine Serie von krachenden Geräuschen, als werfe jemand ihre Sachen durchs Zimmer und an die Wand.
Scharrende Füße… ein Schmerzensschrei…
Dann hatten sich die Schritte marschierend entfernt, und im Haus herrschte Stille. Sie hatte darauf gewartet, dass Papa die Wandvertäfelung aufschob und sie freiließ, sie in die Arme nahm und ihr sagte, dass alles wieder gut werden würde.
Er war nicht gekommen. Da hatte sie gewusst, dass es niemals wieder gut sein würde. Es schien Stunden zu dauern, bis sie die winzige Kante zwischen den Paneelen gefunden hatte, wo sich der Mechanismus für die Tür ihres kleinen Gefängnisses befand, und noch länger, bis sie ihn entriegelt hatte.
Endlich war das Türchen aufgesprungen, und sie war aus ihrem Versteck gekrabbelt – mit schmerzenden Beinen und Rücken ob ihrer beengten Gefangenschaft.
Das Haus war ein Trümmerfeld. Das Porzellan ihrer Mutter lag in Scherben auf dem Teppich. Zerfetzte Bücher aus ihrer kostbaren Bibliothek waren über den Teppich verstreut, während weitere Bücher
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