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Die Schöne des Herrn (German Edition)

Die Schöne des Herrn (German Edition)

Titel: Die Schöne des Herrn (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Cohen
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Roman verwenden werde. Sie bemühte sich ihr ganzes Leben lang, mir ihre Zuneigung, die sehr groß war, nach besten Kräften zu verbergen. Ich will versuchen, sie zu beschreiben, als wäre es wirklich der Anfang des Romans.
    Valérie d’Auble war sich durchaus bewusst, zur Genfer Aristokratie zu gehören. Der erste Auble war zwar zu Calvins Zeiten Tuchhändler gewesen, aber das ist schon lange her, und jede Sünde findet ihre Vergebung. Meine Tante war groß und majestätisch mit einem schönen ebenmäßigen Gesicht, stets in Schwarz gekleidet und voller Verachtung für Mode und Firlefanz. So trug sie, wenn sie ausging, immer einen seltsamen flachen Hut, eine Art von großem Fladen, der hinten mit einem kurzen schwarzen Schleier verziert war. Ihr lila Sonnenschirm, von dem sie sich niemals trennte, den sie vor sich hielt und auf den sie sich wie auf einen Spazierstock stützte, war in Genf berühmt. Sie war sehr wohltätig und verteilte den größten Teil ihres Einkommens an karitative Einrichtungen, evangelische Missionswerke in Afrika und eine Gesellschaft, die es sich zur Aufgabe gemacht hatte, die Schönheit von Genf zu erhalten. Sie hatte auch Tugendstipendien für fromme Mädchen gestiftet. ›Und was tust du für die jungen Männer, Tante?‹ Darauf hatte sie mir geantwortet: ›Um Taugenichtse kümmere ich mich nicht.‹
    Tantlérie gehörte einer mittlerweile fast ausgestorbenen Gruppe besonders orthodoxer Protestanten an, die man die Allerheiligen nannte. Für sie bestand die Welt aus Erwählten und Verdammten, und die meisten Erwählten waren Genfer. Es gab zwar einige Erwählte in Schottland, aber nur sehr wenige. Allerdings genügte es in ihren Augen keineswegs, Genfer und Protestant zu sein, um gerettet zu werden. Wer in den Augen des Herrn Gnade finden wollte, musste fünf Bedingungen erfüllen! Erstens musste man an die buchstäbliche Eingebung der Bibel glauben und folglich auch daran, dass Eva der Rippe Adams entsprungen sei. Zweitens in der konservativen Partei eingeschrieben sein, die, wie ich glaube, nationaldemokratische Partei heißt. Drittens sich als Genfer und nicht als Schweizer betrachten. (›Die Republik Genf ist mit den Schweizer Kantonen verbündet, aber sonst haben wir mit diesen Leuten nichts gemein.‹) Für sie waren die Freiburger (›Wie schrecklich, lauter Papisten!‹), die Waadtländer, die Neuenburger, die Berner und alle anderen Eidgenossen in gleicher Weise Ausländer wie die Chinesen. Viertens musste man zu den ›guten Familien‹ gehören, also zu jenen, deren Ahnen wie die unseren vor 1790 im Kleinen Rat vertreten gewesen waren. Ausgenommen von dieser Regel waren die Pastoren, aber nur die
ernst zu nehmenden
Pastoren, ›nicht diese liberalen und glattrasierten jungen Bengel, die sich erdreisten zu behaupten, unser Heiland sei nur der größte aller Propheten gewesen!‹ Fünftens durfte man nicht ›mondän‹ sein. Dieses Wort hatte für meine Tante eine ganz besondere Bedeutung. Mondän war in ihren Augen zum Beispiel jeder Pastor, der fröhlich war und einen weichen Kragen und einen Sportanzug oder helle Schuhe trug, die sie besonders hasste. (›Tss, ich bitte dich, gelbe Halbstiefel!‹) Mondän war auch jeder Genfer, selbst aus guter Familie, der ins Theater ging. (›Theaterstücke sind Erfindungen. Ich höre mir doch keine Lügen an.‹)
    Tantlérie war auf das
Journal de Genève
abonniert, weil das eine Familientradition war und sie außerdem einige Aktien davon zu besitzen ›glaubte‹. Sie las dieses ehrwürdige Blatt allerdings nie und ließ es unberührt im Adressband, nicht etwa weil sie die politische Richtung missbilligte, sondern wegen jener Teile, die sie unanständig nannte, wie unter anderem die Modeseite, den Feuilletonroman unter dem Strich der zweiten Seite, die Heiratsannoncen und die Nachrichten aus der katholischen Welt und über die Versammlungen der Heilsarmee. (›Tss, ich bitte dich, Religion mit Posaunen!‹) Unanständig waren auch die Reklamen für Unterwäsche und die Inserate von ›Lokalen‹, ein Wort, mit dem sie alle verdächtigen Gaststätten wie Varietés, Dancings, Kinos und selbst Cafés bezeichnete. Und ehe ich es vergesse, muss ich nebenbei noch erwähnen, wie entrüstet sie war, als sie hörte, dass Onkel Agrippa eines Tages, als er großen Durst gehabt hatte, zum ersten Mal in seinem Leben ein Café betreten und sich mutig einen Tee bestellt hatte. Was für ein Skandal! Ein Auble in einem Lokal! Irgendwo in meinem Roman

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