Die Schöne des Herrn (German Edition)
anderen, und leerte den Inhalt jedes Mal in ein Glas Wasser, rührte mit dem Griff einer Zahnbürste um, damit die durchsichtigen Plättchen sich regelmäßig verteilten, und goss die Hälfte der Flüssigkeit in ein zweites Glas. Ein Glas für ihn, ein Glas für sie.
***
Zurück aus dem Badezimmer, richtete sie sich sorgfältig ihr Haar, parfümierte sich, puderte sich, zog das rumänische Kleid an, das Kleid mit den weiten Ärmeln, die sich eng um die Handgelenke schlossen, das Kleid des Wartens auf der Schwelle und unter den Rosen. Schön im Spiegel, hob sie die beiden Gläser hoch und hielt sie aneinander, um zu sehen, ob sie zu gleichen Teilen gefüllt waren. Sie hatte auch immer die Gläser aneinandergehalten, um zu sehen, ob man ihr genauso viel Birnensirup gegeben hatte wie Éliane. Oft hatten sie ihn ohne Wasser getrunken, und das hatte gut geschmeckt. Diesen Birnensirup hatte sie sonst nirgends gesehen, nur bei Tantlérie war er zubereitet worden, und er hatte so gut geschmeckt, ein wenig nach Gewürznelken. Sie hatte ihn vor allem im Sommer mit dem guten kalten Brunnenwasser getrunken. Das Summen der Bienen in der großen Sommerhitze. Einfach einen Schluck nehmen, ohne viel nachzudenken. Sie hatte immer ein solches Theater gemacht, wenn sie ein Medikament nehmen sollte. Tantlérie hatte ihr gut zugeredet. »Nun komm schon, entschließ dich, trink schnell, sei schön brav, hinterher wirst du froh sein.«
Sie führte das Glas an die Lippen und kostete. Die Plättchen waren zum Teil auf den Boden gesunken. Sie rührte mit dem Griff der Zahnbürste um, schloss die Augen, trank die Hälfte, hielt mit erschrockenem Lächeln inne, hörte die Bienen in der großen Sommerhitze, sah Mohnblumen im schwankenden Weizen, rührte noch einmal um und trank in einem Zug den Rest, die ganze Schönheit der Welt. »Sie ist brav gewesen, sie hat alles ausgetrunken«, hatte Tantlérie gesagt. Ja, alles ausgetrunken, es blieb nichts mehr im Glas, sie hatte auch die Plättchen geschluckt, spürte sie bitter auf der Zunge. Schnell zu ihm.
CVI
»Schöne Mohnblumen, meine Damen«, sang eine alte Stimme, als sie mit dem anderen Glas in der Hand in sein Zimmer trat. Er erwartete sie stehend, ein Erzengel in seinem langen Schlafrock, schön wie am ersten Abend. Sie stellte das Glas auf den Nachttisch. Er nahm es und betrachtete die Plättchen auf dem Grund des Wassers. Das also war die letzte Starre. Das Ende der Bäume, das Ende des Meeres, das er so geliebt hatte, sein heimatliches Meer, klar und warm, durchsichtig bis auf den Grund, und jetzt nie mehr. Das Ende seiner Stimme, das Ende seines Lachens, das sie so geliebt hatten. »Dein liebes grausames Lachen«, pflegten sie zu sagen. Die dicke Fliege flog erneut im Zickzack, geschäftig, in Eile, finster summend, in freudiger Erwartung.
Er trank in einem Zug, hielt inne. Das Beste war auf dem Grund geblieben, er musste alles trinken. Er schüttelte das Glas, führte es an seine Lippen, trank die Plättchen vom Grund, seine Starre. Er stellte das Glas auf den Tisch, legte sich auf das Bett, und sie streckte sich neben ihm aus. »Zusammen«, sagte sie. »Nimm mich in deine Arme, drück mich fest«, sagte sie. »Küss meine Wimpern, das ist der größte Liebesbeweis«, sagte sie, durchgefroren und merkwürdig zitternd.
Da nahm er sie in seine Arme und drückte sie fest an sich, und er küsste die langgeschwungenen Wimpern, und es war der erste Abend, und er drückte sie an sich mit der ganzen Kraft seiner sterblichen Liebe. »Noch mehr«, sagte sie, »noch mehr, drück mich noch fester.« Oh, sie brauchte seine Liebe, wollte sie schnell, wollte viel davon, denn die Tür würde sich öffnen, und sie drückte sich an ihn, wollte ihn spüren, drückte sich an ihn mit all ihrer sterblichen Kraft. Mit leiser und fiebriger Stimme fragte sie ihn, ob sie sich danach wiedersehen würden, dort, und dann lächelte sie, ja, sie würden sich dort wiedersehen, lächelte mit ein wenig Schaum an den Lippenrändern, lächelte und sagte, sie würden dort für immer zusammen sein, und nur die wahre Liebe, die wahre Liebe dort, und jetzt lief ihr der Speichel auf den Hals und auf das Kleid des Wartens.
Und abermals erklang unten der Walzer, der Walzer des ersten Abends, der Walzer im Kleid mit der langen Schleppe, und ihr wurde schwindlig, während sie in den Armen ihres Herrn tanzte, der sie hielt und sie führte, während sie tanzte und die Welt um sich vergaß und sich in den hohen Spiegeln
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