Die Schöne des Herrn (German Edition)
bewunderte, elegant, bewegend, geliebte Frau, die Schöne ihres Herrn.
Doch ihre Füße wurden schwer, und sie tanzte nicht mehr, konnte nicht mehr. Wo waren ihre Füße? Waren sie ihr dorthin vorausgegangen, erwarteten sie sie dort in der bergförmigen Kirche, wo der schwarze Wind blies? Oh, welcher Ruf, und die Tür öffnete sich. Oh, groß die Tür, tief die schwarze Nacht, und der Wind wehte vor der Tür, unablässiger Wind von dort, der feuchte nach Erde riechende Wind, der kalte Wind der schwarzen Nacht. »Liebster, du musst deinen Mantel anziehen.«
Oh, jetzt ein Gesang längs der Zypressen, Gesang derer, die sich entfernen und nicht mehr zurückschauen. Wer hielt ihr die Beine? Die Starre stieg empor, breitete sich kalt aus, und das Atmen fiel ihr schwer, und Tropfen liefen ihr über die Wangen, und sie hatte einen Geschmack im Mund. »Vergiss nicht zu kommen«, flüsterte sie. »Heute Abend um neun«, murmelte sie, und ihr Speichel lief herab, und sie lächelte blöde, wollte den Kopf zurückbeugen, um ihn anzuschauen, aber sie konnte es nicht mehr, und dort wurde auf einer Sense gehämmert. Sie wollte ihm winken, aber sie konnte es nicht mehr, ihre Hand war fort. »Warte auf mich«, sagte er zu ihr aus weiter Ferne. »Mein göttlicher König ist da«, flüsterte sie lächelnd, und trat in die Bergkirche.
Daraufhin schloss er ihr die Augen und stand auf und nahm sie in seine Arme, und sie war schwer und verlassen, und er ging durch das Zimmer, trug sie, drückte sie an sich, wiegte sie mit der ganzen Kraft seiner Liebe, wiegte sie und betrachtete sie, die Stumme und Ruhige, die Liebende, die ihm so inbrünstig ihre Lippen geschenkt, die ihm im Morgengrauen so viele glühende Liebesbriefe hinterlassen hatte, wiegte sie und betrachtete sie, die Unabhängige und Bleiche, die Naive der Rendezvous am Polarstern.
Plötzlich schwankte er und verspürte eine eisige Kälte. Er legte sie wieder aufs Bett, streckte sich neben ihr aus, küsste das jungfräuliche, kaum noch lächelnde Gesicht, schön wie am ersten Abend, küsste die noch warme, aber schwere Hand, behielt sie in seiner Hand, hielt sie noch in dem Keller, wo eine Zwergin weinte, ihre Tränen nicht verbarg über ihren schönen König, der an der warzigen Tür starb, ihren verurteilten König, der ebenfalls weinte, weil er seine irdischen Kinder verlassen musste, seine Kinder, die er nicht gerettet hatte, und was würden sie ohne ihn tun, und plötzlich bat ihn die Zwergin mit zitternder Stimme, befahl ihm, den letzten Ruf zu sprechen, wie es vorgeschrieben war, denn die Stunde war gekommen.
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Informationen zum Autor
© Jaques Sassier
Albert Cohen, geboren 1895 auf Korfu, starb 1981 in Genf. Er - gilt als einer der wichtigsten französischsprachigen Autoren des 20. Jahrhunderts. Sein Hauptwerk ist die Romantetralogie »Solal«. Den größten Erfolg feierte er mit dessen dritten Teil »Die Schöne des Herrn«, der 1968 in Frankreich und 1987 zum ersten Mal bei Klett-Cotta erschien.
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