Die schöne Diva von Saint-Jacques
es nicht gibt, nur weil du das verloren hast, was es gibt. Wir gehen jetzt wieder zuschütten.«
11
Schließlich hatte Vandoosler die drei Evangelisten um neun Uhr abends zum Tonneau kommen sehen. Der Graben war zugeschüttet, die Kleidung gewechselt, sie waren vergnügt und frisch gekämmt im Restaurant erschienen. »Als Freiwillige gemeldet«, hatte Lucien dem Kommissar ins Ohr geflüstert. Juliette hatte für fünfundzwanzig Personen Essen vorbereitet und das Restaurant für andere Gäste geschlossen. Es war ein wirklich schöner Abend gewesen, weil Juliette, indem sie von einem Tisch zum ändern ging, Vandoosler sagte, seine drei Neffen seien hinreißend, und dieser hatte die Botschaft weitergetragen und dabei noch ausgeschmückt. Das hatte Luciens Meinung über seine gesamte Umgebung schlagartig verändert. Marc war für das Kompliment auch sehr empfänglich, und Mathias genoß es sicher schweigend.
Vandoosler hatte Juliette erklärt, daß unter den dreien nur einer wirklich sein Neffe sei, und zwar der in Schwarz, Gold und Silber, aber Juliette interessierte sich nicht allzusehr für derlei technische und familiäre Details. Sie gehörte zu den Frauen, die lachen, bevor sie das Ende einer guten Geschichte kennen. Sie lachte also oft, und das gefiel Mathias. Ein sehr hübsches Lachen. Sie erinnerte ihn an seine ältere Schwester. Sie half dem Kellner, das Essen zu servieren, und blieb selten sitzen, mehr aus Takt denn aus Notwendigkeit. Im Gegensatz dazu war Sophia Simeonidis die Ruhe selbst. Von Zeit zu Zeit beobachtete sie die drei Erdarbeiter und lächelte. Ihr Mann saß neben ihr. Vandooslers Blick ruhte eine Weile auf diesem Mann, und Marc fragte sich, was sein Onkel wohl zu entdecken hoffte. Häufig tat Vandoosler, als ob. Tat so, als fände er etwas. Bullentaktik.
Mathias dagegen beobachtete Juliette. In Abständen redete sie immer wieder kurz mit Sophia. Die beiden schienen sich gut zu amüsieren. Ohne besonderen Grund wollte Lucien wissen, ob Juliette Gosselin einen Freund, Lebensgefährten oder sonst etwas dieser Art hätte. Da er viel von dem Wein trank, der Gnade vor seinen Augen gefunden hatte, fiel es ihm auch gar nicht schwer, die Frage ganz direkt zu stellen. Das brachte Juliette zum Lachen, sie sagte, das habe sie verpaßt, ohne zu wissen, wie ihr das gelungen sei. Sie war eben ganz allein im Leben. Und das brachte sie zum Lachen. Tolle Einstellung, sagte sich Marc und beneidete sie. Er hätte den Trick gern gekannt. Immerhin hatte er in Erfahrung gebracht, daß das Restaurant seinen Namen Le Tonneau, »das Faß«, von der Form der Kellertür hatte, deren steinerne Pfosten bogenförmig ausgeschnitten worden waren, damit sehr große Fässer hindurchpaßten. Schöne Stücke. Von 1732, wie die Jahreszahl auf dem Türsturz wohl verriet. Der Keller allein mußte interessant sein. Wenn der Vorstoß an der Ostfront weiter vorankäme, dann würde er mal einen Blick hineinwerfen.
Der Vorstoß kam voran. Keiner wußte wie, aber nachdem die meisten müde waren und das Tonneau verlassen hatten, blieben gegen drei Uhr morgens nur noch Juliette, Sophia und die von der Bruchbude übrig, alle saßen sie mit aufgestützten Ellbogen um denselben Tisch, der voller Gläser und Aschenbecher stand. Mathias saß plötzlich neben Juliette, und Marc dachte, daß er das ebenso unauffällig wie absichtlich getan hatte. So ein Idiot. Sicher, Juliette konnte einen verwirren, auch wenn sie fünf Jahre älter war als sie – Vandoosler hatte sich über ihr Alter informiert und die Information weitergegeben. Weiße Haut, volle Arme, ziemlich enganliegendes Kleid, rundes Gesicht, langes helles Haar, und vor allem ihr Lachen. Aber sie versuchte nicht, jemanden zu verführen, das war sofort klar. Sie schien vollkommen glücklich in ihrer Bistrot-Einsamkeit, genau wie sie vorhin gesagt hatte. Mathias mußte verrückt sein. Nicht sehr, aber doch ein bißchen. Wenn man in der Scheiße saß, war es nicht sehr schlau, die erste dahergelaufene Nachbarin zu begehren, so angenehm sie auch sein mochte. Das konnte das Leben nur komplizierter machen, und außerdem war jetzt nicht der richtige Augenblick dafür. Und dann blieb es ja auch nicht ohne Folgen. Marc wußte ein Lied davon zu singen. Na ja, vielleicht täuschte er sich. Mathias könnte ja auch durchaus verwirrt sein, ohne daß es Folgen hätte.
Juliette, der nicht auffiel, daß Mathias sie stumm beobachtete, erzählte Geschichten, wie zum Beispiel die von dem Gast,
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