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Die schöne Diva von Saint-Jacques

Die schöne Diva von Saint-Jacques

Titel: Die schöne Diva von Saint-Jacques Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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abwechslungsreicher geworden. Neun Tage später lud Sophia Marc und Lucien zu ihrem Donnerstagsessen ein. Am Donnerstag darauf, sechzehn Tage später, war Sophia verschwunden.
    Auch am nächsten Tag sah sie niemand. Beunruhigt fragte Juliette den heiligen Matthäus, ob sie nach Feierabend mit dem alten Kommissar sprechen könne. Mathias ärgerte sich, daß Juliette ihn den heiligen Matthäus nannte, aber seit Vandoosler der Ältere diese idiotischen, geschwollenen Namen genannt hatte, als er zum ersten Mal die drei Männer erwähnte, mit denen er zusammenwohnte, gingen sie ihr nicht mehr aus dem Kopf. Nachdem Juliette das Tonneau abgeschlossen hatte, begleitete sie Mathias zur Bruchbude. Er hatte ihr das System der chronologischen Schichten in den Stockwerken erklärt, damit sie nicht schockiert wäre, daß der Älteste in der obersten Etage untergebracht war.
    Beim raschen Hinaufsteigen in den vierten Stock war Juliette außer Atem geraten. Sie setzte sich Vandoosler gegenüber, dessen Gesicht sofort aufmerksam wurde. Juliette schien die Evangelisten zu mögen, aber sie zog die Meinung des alten Kommissars vor. Mathias, der sich an einen Balken lehnte, dachte, daß sie in Wirklichkeit die Visage des alten Kommissars vorzog, was ihn ein wenig ärgerte. Je aufmerksamer der Alte war, desto schöner sah er aus.
    Lucien, der aus Reims zurückgekehrt war, wo er zu einem gutbezahlten Vortrag über den »Stillstand der Front« einberufen worden war, verlangte eine Kurzfassung der Ereignisse. Sophia war nicht wieder aufgetaucht. Juliette war zu Pierre Relivaux gegangen, der gemeint hatte, sie solle sich keine Sorgen machen, Sophia würde schon wiederkommen. Er schien besorgt, aber doch ziemlich sicher. Was vermuten ließ, daß Sophia etwas gesagt hatte, bevor sie gegangen war. Aber Juliette verstand nicht, daß sie nicht informiert worden war. Lucien zuckte mit den Achseln. Er wollte Juliette nicht verletzen, aber nichts verpflichtete Sophia, sie über alles auf dem laufenden zu halten. Juliette beharrte jedoch darauf. Nie hatte Sophia einen Donnerstag ausfallen lassen, ohne ihr Bescheid zu geben. Extra für sie wurde im Tonneau Kalbsgeschnetzeltes mit Champignons zubereitet. Lucien brummte. Als ob ein Kalbsgeschnetzeltes angesichts eines unvorhersehbaren Notfalls viel zählte. Aber für Juliette war das Kalbsgeschnetzelte natürlich wichtiger. Dabei war sie intelligent. Aber es ist immer dasselbe: Bis man seine Gedanken erst mal aus dem Alltagstrott herausgerissen hat, aus dem eigenen Denken und dem Kalbsgeschnetzelten, hat man schon irgendwelchen Blödsinn geredet. Sie hoffte, der alte Kommissar könnte Pierre Relivaux zum Reden bringen. Auch wenn sie den Eindruck hatte, daß Vandoosler nicht gerade eine Empfehlung war.
    »Trotzdem«, sagte Juliette. »Ein Bulle bleibt ein Bulle.«
    »Nicht unbedingt«, erwiderte Marc. »Ein gefeuerter Bulle kann zum Anti-Bullen werden, vielleicht zum Werwolf.«
    »War sie das Kalbsgeschnetzelte nicht irgendwann leid?« fragte Vandoosler.
    »Ganz und gar nicht«, antwortete Juliette. »Sie ißt es sogar auf ganz erstaunliche Weise. Sie reiht die kleinen Champignons aneinander wie Noten auf einem Notenblatt und ißt ihren Teller sehr gleichmäßig, Takt für Takt, leer.«
    »Eine ordentliche Frau«, sagte Vandoosler. »Nicht der Typ, der ohne Erklärung verschwindet.«
    »Wenn ihr Mann sich keine Sorgen macht«, bemerkte Lucien, »dann wird er gute Gründe dafür haben. Er ist doch nicht gezwungen, sein Privatleben auszupacken, nur weil seine Frau desertiert und ein Kalbsgeschnetzeltes verpaßt. Lassen wir’s sein. Niemand verbietet einer Frau, sich für einige Zeit zu verdrücken, wenn sie das will. Ich verstehe nicht, warum wir ihr jetzt nachjagen sollten.«
    »Trotzdem«, wandte Marc ein. »Juliette denkt an etwas, was sie uns nicht sagt. Es ist nicht nur das Kalbsgeschnetzelte, nicht wahr, Juliette?«
    »Das stimmt«, antwortete Juliette.
    Sie sah hübsch aus in dem schwachen Licht, das den Dachstuhl erhellte. Sie war ganz mit ihren Sorgen beschäftigt und achtete nicht auf ihre Haltung. Sie saß vorgebeugt, die Hände verschränkt, ihr Kleid fiel locker um ihren Körper, und Marc bemerkte, daß Mathias sich ihr direkt gegenüber hingestellt hatte. Schon wieder diese starre Verwirrung. Man mußte zugeben, daß sie auch Anlaß dazu gab. Ein weißer, voller Körper, runder Nacken, freie Schultern.
    »Aber wenn Sophia morgen wiederkommt«, fuhr Juliette fort, »dann würde ich mir

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