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Die schoene Frau Seidenman

Die schoene Frau Seidenman

Titel: Die schoene Frau Seidenman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrzej Szczypiorski
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rief sie sich manchmal die Erinnerungen aus Polen ins Gedächtnis. Jetzt betrachtete sie ihre schmalen Füße nicht mehr im Spiegel, sie waren verunstaltet und erfüllten sie mit Ekel, ähnlich wie die Haut ihrer Hände mit den dunklen Flecken, die Fettringe am einst so schlanken Hals, vor allem aber der Geruch ihres Körpers, der fade und zugleich durchdringende, fremde Geruch des Alters, mit dem sie sich nicht abfinden wollte. Sie dachte manchmal an Polen, weil alte Leute sich an die ferne Vergangenheit vortrefflich erinnern und zu ihr zurückkehren, um dort Lebenskraft zu suchen, um sich jung, schön und von Liebe umgeben wiederzufinden. Sie suchte ihre Vergangenheit, suchte zwangsläufig Polen und ihre Bindungen an Polen. Aber das war traurig und abstoßend. Das schöne, heitere und freundliche Polen verband sich mit dem, was es schon lange nicht mehr gab: den Möbeln der ehelichen Wohnung Irma Seidenmans vor dem Kriege, dem Treppenhaus mit seinem kirschroten Läufer und der fackeltragenden Frauenstatue. Das heitere und freundliche Polen war der Blick aus den Fenstern ihres Salons auf die verkehrsreiche Straße, wo quietschende Straßenbahnen entlangfuhren, Pferde mit Schweißspuren auf den Hinterteilen die Rollwagen zogen, rechteckige Automobile vorbeiglitten, gefolgt von kleinen Jungen, die den Dampf aus den Auspuffrohren mit Händen zu greifen versuchten. Es war auch das Gesicht von Dr. Ignacy Seidenman im Lampenlicht, seine Hände auf dem Schreibtisch zwischen zahllosen Diagrammen, Aufnahmen und auf Zetteln niedergeschriebenen Notizen. Es war der Geschmack des Kuchens der Firma Lardelli, der Pralinen der Firmen Wedel oder Fuchs, das Schaufenster des Ladens Old England, die Pelze bei Apfelbaum, der Duft der guten Kosmetika von Elizabeth Arden in der Parfümerie auf dem  Krakowskie Przedmieście , aber auch der Duft der Bücher im nahen Lesesaal von Kozłowski, die Cafés, Droschken, hübschen Frauen, freundlichen Männer, folgsamen Kinder.
    Irma machte sich klar, daß es sich um ein unvollständiges und
    einseitiges Bild handelte, denn das Polen von früher war auch arm, schmutzig, rückständig, unwissend, marktschreierisch, aufrührerisch gewesen. Lange Jahre nach dem Kriege gehörte Irma zu den Menschen, die sich mit ungeheurer Anstrengung und restlos ihrer Aufgabe widmeten, die versuchten, die Hinterlassenschaft vergangener Zeiten aufzuarbeiten, die dieses Polen hartnäckig fortbildeten, Kindergärten, Schulen, Universitäten bauten, die, getreu dem Gebot der alten Dichter, die Volksbildung vorantrugen, um das Land aus seiner Rückständigkeit zu reißen. Sie wußte, daß das Bild von Vorkriegspolen, das sie sich ins Gedächtnis rief, der historischen Wirklichkeit nicht voll entsprach. Aber nur jenes Polen war ihr gegenüber freundlich gewesen, nur jenes hatte heiter und schön ausgesehen. Das war meine Jugend, sagte sie sich am Ende ihres Lebens, während sie über die Pariser Straßen trippelte und den Stock auf das Pariser Pflaster setzte, das war meine Jugend und das einzige Polen, das ich wirklich besessen habe.
      Die Kriegszeit verwischte sich in ihrem Geist. Mit dem Tag des Kriegsausbruchs tat sich in ihrer Erinnerung ein schwarzer Abgrund auf, ohne Licht und Farben. Es stand fest, daß sie sich in diesem Abgrund befunden hatte. Aber sie erinnerte sich nicht an sich, an ihr Gesicht, ihre Gedanken und Gefühle, weil die Dunkelheit die Konturen verwischte. Und das spätere Polen, in dem sie den größeren Teil ihres Lebens verbrachte, war ihr einfach fremd. Meine Geige ist wohl gerissen, sagte die Jüdin Irma Seidenman-Gostomska und wärmte ihre alten Knochen auf einer Bank im Jardin du Luxembourg, meine Geige klingt falsch. Als sie sich in die Vergangenheit vertieft hatte, wollte sie ihrer Geige den richtigen, den tiefen Ton entlocken. Aber anscheinend war sie tatsächlich damals gerissen, im Frühjahr 1968. Tatsächlich gerissen und nicht mehr zu leimen.
      Draußen vor dem Fenster flogen die Vögel vorbei. Eine Straßenbahn näherte sich. Der klassische Philologe erhob sich vom Stuhl, lächelte und zog die Vorhänge zurück. Die frühe Sonne dampfte über den Hausdächern. Irma spürte, daß ihre nackten Füße froren. Ich sehe komisch aus, dachte sie, ich muß mich anziehen. Aber der Philologe beeilte sich nicht zu gehen.
      »Herr Pawełek war entsetzt«, sagte er, »und versicherte mir, er nehme sofort seine Bemühungen auf. Ihr Gatte war ein Freund seines Vaters, nicht

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