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Die schoene Frau Seidenman

Die schoene Frau Seidenman

Titel: Die schoene Frau Seidenman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrzej Szczypiorski
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Rasen, unter der Krone blattloser Bäume, er habe also vor langer Zeit begonnen, nicht körperlich, aber im Sinne des Sendungsbewußtseins eines bestimmten Teils der Menschheit. So war es immer. Immer gab es die Sieger und die Grausamen, die die Erde zertraten, um sie nachgiebiger zu machen, und es gab die anderen, die Opfer von Raub, Unterwerfung und Tyrannei, deren Knochen die Erde düngten. Das war wohl die Bestimmung der Menschen, und nicht sie selbst wählten ihr Los, sondern eine übergeordnete Kraft, die die Geschichte ordnete und nach deren Urteilen die einen herrschten und die anderen Untertan waren. Stuckler wußte mit absoluter Sicherheit, daß er zu herrschen hatte. Es war seine Pflicht, die Erde zu zertreten, nicht aber mit seinem Körper zu düngen. So war es immer. Wurde das große Rom nicht auf den Nacken Tausender von Sklaven erbaut? Wer kennt heute deren Namen? Wer erinnert sich ihrer Existenz? Und dennoch haben sie die Macht des Imperiums getragen, alle römischen Bauten und Eroberungen, die ganze römische Kultur und Zivilisation, die weiterhin heilig ist. Das Leiden der Sklaven hat in der Geschichte keine Spuren hinterlassen, während die Römer die Geschichte großer Teile der Welt gestalteten. Wo die Sandale des römischen Legionärs die Erde zertrat, blühte die Geschichte des Menschen auf. Wieviele Sklaven haben diese Erde mit ihrer Asche gedüngt? Schon Rom hat den Grundsatz gemeinsamer Verantwortung angewandt, die Gesamtheit der römischen Bürger über alle anderen Bewohner der Erde gestellt. Nur sie erfreuten sich der Freiheit, nur ihnen standen Recht und Privilegien zu. So war es immer. Und infolgedessen existierte ganz einfach die Welt. Wenn wir den Krieg verlieren, dachte Stuckler, wird die Geschichte abgeschnitten. Ein Monstrum ohne Nabelschnur wird geboren, eine Menschheit ohne Krieger, schwach, träge und zum langsamen Sterben bestimmt. Unsere Feinde reden von Demokratie. Im Namen der Demokratie wollen sie das Reich besiegen. Narretei! Schließlich hatte sogar die römische Republik ihre Sklaven. Und die berühmte athenische Demokratie stützte sich vom ersten bis zum letzten Augenblick ihrer Existenz auf die Sklaverei. So war es immer. Nie war es anders, so war es immer.
    Stuckler schaute auf die Uhr. Mittag war vorüber. Er mußte zurück zur Arbeit. Wieder leuchtete die Sonne. Das Pferd ging in gestrecktem Trab. Stuckler fühlte sich frisch. Das Leben eines Kriegers, dachte er. Das einfache, soldatische Leben. Selbst wenn wir verlieren, wird man uns einst beneiden. Denn in uns steckt eine strenge Schönheit, etwas Engelhaftes. Und auch der Schnitt unserer Uniformen ist einzig in seiner Art, unerreichbar. Einst wird man uns beneiden. So war es immer.

20
    A ls sie gegen Morgen erwachte, umfing sie das Gefühl freudigen Erstaunens. Durch das Fenster sah sie ein Stückchen hellen Himmel, die dunklen Zweige der Bäume, ihre zarten, grünen Triebe. Im Spiegel des Frisiertischs zeigten sich das Bett, der Nachttisch, die Falten der frisch überzogenen Steppdecke, die Form eines nackten Fußes. Es war ihr eigener Fuß, der unter der Steppdecke hervorschaute. Ein zierlicher, schlanker Frauenfuß. Wie herrlich, dachte Irma Seidenman, daß ich hier erwache! Erst jetzt empfand sie Lebensfreude und Zuneigung für ihren eigenen Körper. Sie betrachtete den Fuß im Spiegel und bewegte die Zehen. Ich bin entronnen, dachte sie freudig, ich bin hier in meinem eigenen Haus. Aber alsbald überfiel sie die Angst davor, das Kriegsende nicht zu erleben, das Los der anderen Juden teilen zu müssen. Die vergangenen Jahre hindurch hatte sie mit dieser Möglichkeit gerechnet, jedoch war sie stets überzeugt gewesen, sie würde es überstehen und dem Netz entrinnen. Im Käfig auf der Schuch-Allee hatte sie sich mit dem Tod abgefunden, sie hatte ihr vergangenes Leben bedacht, alles, was sich erfüllt hatte. Sie war ruhig gewesen, sogar heiter. Sie hatte das schreckliche, wenn auch eindeutige Urteil des Schicksals angenommen, eines der Millionen Urteile, die zu jeder Stunde fielen. Das Unvermeidliche war geschehen. Sie war geneigt, das Unvermeidliche als eine Art Pflicht zu sehen, weshalb der Tod in ihr keinen moralischen Protest weckte. Erst jetzt, im Bett, im Morgenlicht des nächsten Tages begann sie zu begreifen, daß sie dem Entsetzlichen entronnen, daß das unwiderrufliche Ende sehr nah gewesen war – und sie erschrak. Noch nie hatte sie den Wunsch zu leben so stark empfunden. Bei dem Gedanken, heute

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