Die schoene Helena
Gestalt beunruhigte ihn. Unter dem zarten gelben Musselin zeichneten sich die Schulterknochen ab. Formlos hing das altmodische Kleid an ihrem Körper. Trotzdem strahlte sie Anmut und Würde aus, während sie hoch erhobenen Hauptes den Wintergarten durchquerte.
„Du wolltest mich sprechen, Vater?“, fragte sie und ignorierte Adam.
Er lächelte. Wenn sie sich auch äußerlich verwandelt hatte -in ihrem Herzen blieb sie ein eigenwilliges und selbstbewusstes Mädchen.
Liebevoll nahm der Earl seine Tochter in die Arme und flüsterte ihr etwas zu.
„Nein!“, hörte Adam Lady Helena protestieren.
Angelegentlich betrachtete er seine Fingernägel. Die müsste er endlich wieder schneiden. Seufzend wartete er, schaute zur Decke des Wintergartens hinauf und zählte die Spinnweben.
Wie ihm ein schriller Schrei und raschelnde Röcke verrieten, entfernte sich Helena von ihrem Vater. Adam entdeckte sie in einer Ecke, wo sie schmollend hinter einer verkümmerten Topfpflanze stand. Wütend starrte sie ihn an.
Zu Rathford gewandt, beobachtete er, wie der alte Mann die Lippen zusammenpresste, um seinen Unmut zu bekämpfen. Dann nickte ihm Seine Lordschaft kurz zu und eilte zur Tür. Adam vermutete, Lady Helena hätte die erfreuliche Neuigkeit erfahren. Offenbar wollte ihr Vater alles Weitere ihm überlassen.
Während Adam auf sie zuging, begann sie ohne Umschweife: „Er hat gesagt, ich soll Sie heiraten.“
Abrupt blieb er stehen. Ihr unverhohlener Zorn überraschte ihn nicht so sehr wie die kalte Angst, die er in ihren Augen las, und er hob beschwichtigend die Hände. „Wenn wir uns besser kennen, werden Sie diesen Gedanken nicht mehr so abwegig finden.“
„Warum nicht? Gewinnen Sie bei längerer Bekanntschaft?“ „Vielleicht haben wir einen schlechten Anfang gemacht.“ „Wann genau war das? Als Sie die Tür aufstießen und mich beinahe umwarfen?“
„Ich glaube, als Sie mich einen Laffen nannten.“
Erbost kehrte sie ihm den Rücken.
Adam bezähmte seine eigene Wut und entsann sich, dass er die Wogen glätten und nicht aufwühlen sollte. Vielleicht wäre es hilfreich, an Helenas Stolz zu appellieren. Für fünftausend Pfund und zusätzliche sechstausend im Jahr würde er das bereitwillig tun. „Ich muss gestehen ... ich hielt Sie für eine Dienerin. Gewiss, das war unverzeihlich, und ich kann mich nur mit der schwachen Beleuchtung entschuldigen.“
Langsam drehte sie sich zu ihm um, und er trat ermutigt einen Schritt näher. Zu seiner Genugtuung wich sie nicht zurück.
Aus der Nähe sah er einen heftigen Puls an ihrem Hals pochen, die Konturen der kleinen Brüste unter dem zu weiten Oberteil ihres Kleides. Hastig wandte er seine Augen von diesem seltsam erregenden Anblick ab. „Sie sind nicht dumm, das habe ich längst erkannt. Natürlich misstrauen Sie mir, und ich bin vermutlich ein Rüpel - aber wenigstens ein ehrlicher. Wenn Sie mir nicht glauben, bedenken Sie, wie sehr Ihr Vater Sie liebt. Niemals würde er Sie täuschen. Er wird Ihnen in allen Einzelheiten erzählen, was er mit mir vereinbart hat. Also muss ich Ihnen wohl oder übel die Wahrheit sagen.“
Unsicher biss sie in ihre Unterlippe. Als sich die kleinen weißen Zähne in das zarte rosige Fleisch gruben, schluckte er mühsam. „Wenn Sie’s auf mein Geld abgesehen haben, bezahle ich Sie, damit Sie abreisen.“
„Wäre ich nur am Geld interessiert, hätte ich in den Salons vom Belgravia oder Mayfair eine Erbin betören und mir die weite Reise ersparen können.“
„Und warum sind Sie hierhergekommen?“
Adam zögerte. „Ganz London spricht von der Schönheit und dem beachtlichen Charme einer Frau, die im einsamen Norden lebt und ..."
Mit frostiger Stimme fiel sie ihm ins Wort. „Glauben Sie, ich würde auf so alberne Schmeicheleien hereinfallen?“
„Jetzt sehe ich, dass Sie tatsächlich bildschön und bezaubernd sind“, fuhr er unbeirrt fort und wagte sich noch näher, bis er ganz dicht vor ihr stand. Sie war so zart gebaut - und sie erschien ihm so zerbrechlich wie eine kostbare Porzellanpuppe. „Und reich“, ergänzte sie.
Adam zuckte mit keiner Wimper, obwohl es ihm schwerfiel, seine Fassung zu bewahren. „Oh ja ... reich.“
Nach einem kurzen drückenden Schweigen bemerkte sie: „Ich nehme an, mein Vater belohnt sie überaus großzügig.“ Diese Worte missfielen ihm. Vor allem, weil sie der Wahrheit entsprachen. „Das gebe ich zu. Wie ich bereits sagte, ich bin ehrlich. Also können Sie mich nicht in Verlegenheit
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