Die schoene Helena
Finstere Schatten umgaben die Gestalt auf der Schwelle, und er sah nur, dass es eine Frau war. Wahrscheinlich eine Dienerin.
„Was wollen Sie?“
Diese Unverschämtheit, die seine ohnehin schon düstere Laune noch verschlechterte, irritierte ihn. In gebieterischem Tön verkündete er: „Ich wünsche die Herrin des Hauses zu sprechen, Lady Helena Rathford, wenn Sie so freundlich wären.“
Nun entstand ein kurzes Schweigen. „Wer sind Sie?“ Hastig unterbrach sie sich und fügte in etwas höflicherem Ton hinzu: „Ich meine ... wen darf ich melden?“
Die Stimme klang kultiviert und passte nicht zu einer Dienerin. Aber er kannte diese Gegend nicht. Vielleicht war der hiesige Dialekt weniger ausgeprägt als in anderen Regionen. „Adam Mannion, Esquire.“ Die Arme vor der Brust verschränkt, nahm er an, die Frau würde ihn endlich ins Haus bitten. Doch darauf hoffte er vergeblich. „Holen Sie Ihre Ladyschaft!“, befahl er. War sie schwachsinnig? „Lassen Sie mich nicht länger warten! “ „Was wollen Sie von Ihrer Ladyschaft?“, erkundigte sie sich herausfordernd.
„Das braucht Sie wohl kaum zu kümmern.“
„Im Augenblick möchte sie nicht gestört werden. Gehen Sie! “ Zu seiner Verblüffung begann sie die Tür zu schließen. Zweierlei bewog ihn, blitzschnell die Initiative zu ergreifen - einerseits seine Empörung über diese dreiste Person, andererseits die Mitteilung, dass hier tatsächlich eine Lady Helena Rathford anzutreffen war. Daran hatte er angesichts des beklagenswerten Zustands, in dem sich das Haus befand, gezweifelt. Er sprang die Stufen hinauf und schob einen polierten Reitstiefel in den Türspalt. Eine Sekunde später wäre das massive Eichenportal ins Schloss gefallen.
„Großer Gott, Mädchen!“, rief er und unterdrückte einen Fluch, als ein heftiger Schmerz durch seinen Unterschenkel fuhr. „Wollen Sie einen Krüppel aus mir machen?“
„Entfernen Sie Ihr Bein!“
„Impertinentes kleines Ding! Verständigen Sie sofort Ihre Herrin! Ich habe etwas Wichtiges mit ihr zu besprechen, das keinen Aufschub duldet und ...“ Abrupt verstummte er. Das qualvolle Pochen in seinem Fuß schürte seinen Zorn. Mit einer seiner breiten Schultern warf er sich gegen das Eichenholz, das Mädchen taumelte zurück, und die Tür prallte krachend gegen die Innenwand. Sichtlich verwirrt starrte ihn die unbotmäßige Dienerin an. In ihren blauen Augen lag ein grüner Glanz, der sie fast türkis wirken ließ. Adam schenkte ihr sein charmantestes Lächeln. „Sicher verstehen Sie, dass ich lieber drinnen warte.“ Sie war gertenschlank und größer, als er vermutet hatte. Hoch aufgerichtet stand sie vor ihm und straffte empört die Schultern. Aus dem nachlässig hochgesteckten Haar hingen einige blonde Strähnen herab und verdeckten teilweise ihr Gesicht. Nur eine schmale Nase und ein wohlgeformtes Kinn waren deutlich zu sehen. Unwillig stellte er fest, dass sie attraktiv war, wenn sie auch nicht so volle Brüste besaß wie seine bevorzugten Bettgenossinnen.
„Verschwinden Sie, sofort!“, fauchte sie und wich in die Schatten der Eingangshalle zurück. „Bevor ich meinen ... meinen Herrn rufe!“
„Tun Sie das“, erwiderte Adam und folgte ihr ins Dunkel. „Dafür wäre ich Ihnen sogar dankbar. Wo sind Sie? Warum verstecken Sie sich?“
„Ich verstecke mich nicht, Sie Laffe! Gehen Sie endlich!“ „Wie können Sie es wagen, so mit mir zu reden? Ihr Benehmen ist unentschuldbar.“
Statt zu antworten, seufzte sie verächtlich.
Wie ein ungeduldiges Raubtier drang er weiter in den Raum vor. Was er mit der frechen Dienerin machen würde, wenn er sie aufstöberte, wusste er noch nicht. Jedenfalls hatte er noch nie eine Frau geschlagen. „Wo sind Sie?“ Tiefe Stille. Vielleicht hatte sie erkannt, wie schändlich sie sich verhalten hatte, und war angstvoll geflohen. Nun, dann würde er ihren Herrn eben selbst aufsuchen.
Inzwischen hatten sich seine Augen an das Halbdunkel gewöhnt. Er blieb stehen, sah sich in der Rundhalle mit der Kuppel um und pfiff anerkennend. Reliefs im neoklassizistischen Stil, neuerdings sehr beliebt, schmückten die Wände. Dazwischen hingen kostbare Gemälde, edle Teppiche bedeckten den Marmorboden. Lächelnd rieb sich Adam die Hände. Der Reichtum, der hier zur Schau gestellt wurde, entzückte ihn. Offensichtlich war er am richtigen Ort.
„Sind Sie immer noch da?“
„Das sollte ich Sie fragen!“, entgegnete er und spähte erfolglos in den düsteren Hintergrund
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