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Die schöne Kunst des Mordens

Titel: Die schöne Kunst des Mordens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeff Lindsay
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und glitt vom Stuhl und durch die Tür, während ich, alleingelassen, grübelte, in wie großen Schwierigkeiten die Morgans mittlerweile steckten. Ich benötigte mehrere Minuten und einen ganzen Becher Kaffee, ehe ich mich endlich auf den PC konzentrieren konnte.
    Und welch wunderbare Überraschung wurde mir zuteil!
    Aus reinem Reflex warf ich einen Blick auf den Maileingang. Dort lauerten zwei Abteilungsmemos auf meine sofortige Unaufmerksamkeit, eine Werbemail, die mir mehrere Zoll unspezifischer zusätzlicher Länge versprach, und eine Botschaft ohne Betreff, die ich beinah gelöscht hätte, ehe ich sah, von wem sie stammte:
    [email protected]
    Es hätte nicht sein dürfen, doch ich brauchte einen Moment, bis ich den Namen erfasste. Mein Finger balancierte buchstäblich auf der Maus, um die Nachricht zu löschen, als etwas Klick machte und ich zögerte.
    B.weiss. Der Name kam mir bekannt vor. Vielleicht »Weiss, Anfangsbuchstabe des Vornamens: B.«, wie bei den meisten E-Mail-Adressen. Das ergab Sinn. Und falls das B. für Brandon stand, ergab das noch mehr Sinn. Denn das war der Name der Person, die ich soeben ausfindig machen wollte.
    Wie aufmerksam von ihm, sich zu melden.
    Ich öffnete die E-Mail von Weiss mit mehr als dem üblichen Interesse, äußerst gespannt, was er mir mitzuteilen hatte. Aber zu meiner großen Enttäuschung hatte er anscheinend überhaupt nichts zu sagen. Dort fand sich nur ein Internetlink, unterstrichen und in Blau, mitten auf der Seite, ohne jeden Kommentar.
    http://www.youtube.com/watch?v= 99 lrj? 42 n
    Wie interessant. Brandon wollte Videos mit mir teilen. Was für Videos mochten das sein? Vielleicht seine Lieblingsrockband? Oder eine bearbeitete Montage von Ausschnitten seiner liebsten Fernsehsendung? Oder eher Filmmaterial von der Art, die er an die Behörde für Fremdenverkehr geschickt hatte? Das wäre sehr aufmerksam.
    Und so klickte ich mit einem warmen, flauschigen Glühen an der Stelle, an der mein Herz hätte sitzen sollen, den Link an und wartete ungeduldig auf das Laden der Seite. Endlich erschien der kleine Rahmen, und ich klickte auf Abspielen.
    Einen Moment herrschte tiefe Dunkelheit. Dann erwachte ein körniges Bild zum Leben, und ich sah durch einen starren Kamerawinkel irgendwo an der Decke hinunter auf weißes Porzellan – dieselbe Einstellung wie in dem Video an die Behörde. Ich war gelinde enttäuscht – er hatte mir nur den Link zu einer Kopie geschickt, die ich bereits gesehen hatte. Doch dann ertönte ein leise schleifendes Geräusch, und in einer Ecke des Monitors regte sich etwas. Eine dunkle Gestalt schlurfte in den Rahmen und ließ etwas auf das weiße Porzellan fallen.
    Doncevic.
    Und die dunkle Gestalt? Natürlich der schneidige Dexter.
    Mein Gesicht war nicht zu erkennen, doch es bestand kein Zweifel. Das war Dexters Rücken, sein Siebzehn-Dollar-Haarschnitt, der Kragen von Dexters herrlichem dunklen Hemd schmiegte sich an Dexters wundervollen, kostbaren Hals …
    Meine Enttäuschung war komplett verflogen. Es handelte sich tatsächlich um ein nagelneues Video, das ich noch nicht kannte, und ganz plötzlich war ich furchtbar gespannt darauf, es zum ersten Mal zu sehen.
    Ich beobachtete, wie Dexter Damals sich aufrichtete, sich umsah – glücklicherweise noch immer, ohne das Gesicht zur Kamera zu drehen. Kluger Junge. Dexter trat aus dem Rahmen und war fort. Der Klumpen in der Wanne regte sich leicht, und dann kehrte Dexter zurück und ergriff die Säge. Das Blatt surrte, der Arm fuhr nach oben …
    Und Finsternis. Ende des Videos.
    Vollkommen sprachlos hockte ich einige Minuten benommen da. Aus dem Flur tönte ein Klirren. Jemand betrat das Labor, öffnete eine Schublade, schloss sie wieder und verschwand. Das Telefon klingelte; ich nahm nicht ab.
    Das war ich. Direkt dort auf YouTube. In voller Lebensgröße und in leicht körniger Farbe. Dexter von den tödlichen Grübchen in der Hauptrolle eines nicht ganz so bedeutenden Filmklassikers. In die Kamera lächeln, Dexter. Wink dem netten Publikum zu. Mir hatten Heimvideos nie sonderlich gefallen, doch dies ließ mich noch kälter als üblich. Dort war ich – nicht nur auf Film gebannt, sondern auch auf YouTube veröffentlicht, damit alle Welt mich sehen und bewundern konnte. Das war mehr, als mein Verstand erfassen konnte; meine Gedanken drehten sich im Kreis wie ein Filmschnipsel in der Rolle. Das war ich; es konnte nicht sein und doch war es so; ich musste etwas unternehmen, doch was? Keine

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