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Die schöne Kunst des Mordens

Titel: Die schöne Kunst des Mordens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeff Lindsay
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Ahnung, irgendwas – denn das war ich …
    Allmählich wurde es wahrhaft interessant, nicht wahr?
    Na gut, das war ich. Offensichtlich war irgendwo über der Wanne eine Kamera versteckt. Weiss und Doncevic hatten sie für ihre Ausstellungsprojekte genutzt, und als ich auftauchte, hing sie noch immer dort. Was bedeutete, dass Weiss sich nach wie vor irgendwo in der Gegend aufhielt …
    Nein, das bedeutete es ganz und gar nicht. Es war lächerlich einfach, eine Webcam zu installieren und via Internet zu bedienen. Weiss konnte überall gewesen sein, als er das Video bearbeitete und an mich abschickte …
    An mich, an mein kostbares, anonymes Ich, an Dexter, den Unbedeutenden, der sich in den Schatten tummelte und niemals nach Aufmerksamkeit für seine guten Taten gelechzt hatte. Doch selbstverständlich war bei dem grässlichen Mediengezeter, das diese Angelegenheit einschließlich des Angriffs auf Deborah begleitete, mein Name mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit irgendwo erwähnt worden. Dexter Morgan, bescheidenes Laborgenie, Bruder der fast Erstochenen. Ein Bild, ein Filmausschnitt in den Nachrichten, und er hatte mich.
    In meinem Magen bildete sich ein kalter, grauenhafter Knoten. Es war wirklich ganz einfach. So einfach konnte ein derangierter Dekorateur herausfinden, wer und was ich war. Ich war zu lange zu gerissen gewesen und hatte mich daran gewöhnt, der einzige Tiger in den Wäldern zu sein. Und dabei übersehen, wie leicht der Jäger den Spuren zu folgen vermag, wenn es nur einen Tiger gibt.
    Und das hatte er. Er war mir zu meiner Höhle gefolgt und hatte Bilder von Dexter beim Spielen geschossen, und jetzt hatte ich den Salat.
    Mein Finger auf der Maus zuckte fast unwillig, und ich betrachtete das Video noch einmal.
    Ich war es noch immer. Direkt dort in dem Video. Das war ich.
    Ich holte tief Luft und gab dem Sauerstoff Gelegenheit, seinen Zauber auf meine Denkprozesse zu wirken – oder zumindest auf das, was davon noch übrig war. Sicher, ich hatte ein Problem, doch wie für jedes Problem musste es auch hier eine Lösung geben. Höchste Zeit, Logik walten zu lassen; Dexters eisigen Biocomputer mit voller Kraft auf das Problem zu richten. Erstens: Was wollte dieser Typ? Warum hat er das getan? Offensichtlich wünschte er eine Reaktion von mir – aber welche? Am naheliegendsten schien der Wunsch nach Vergeltung. Ich hatte seinen Freund umgebracht – seinen Partner? Liebhaber? Darauf kam es nicht an. Er wollte mich wissen lassen, dass er wusste, was ich getan hatte, und, und …
    Und er hatte den Videoclip an mich geschickt, nicht an jemanden, der vermutlich etwas unternehmen würde, wie zum Beispiel Detective Coulter. Was bedeutete, dass es sich um eine persönliche Herausforderung handelte, etwas, was er nicht publik machen wollte, zumindest noch nicht.
    Nur dass es publik
war
 – auf YouTube. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis jemand darüber stolperte und den Clip anschaute. Was wiederum bedeutete, dass Zeit eine Rolle spielte. Was also sagte er damit?
Schnapp mich, ehe sie dich schnappen?
    Bis hier war alles klar. Doch was dann? Ein Westernduell – Motorsägen auf zehn Schritt? Oder wollte er mich nur quälen, mich in Atem halten, bis ich einen Fehler beging oder er sich zu langweilen begann und das Ganze an die Abendnachrichten schickte?
    Es hätte gereicht, in einem niedrigeren Wesen zumindest einen Anflug von Panik zu erzeugen. Doch Dexter ist aus wesentlich härterem Holz geschnitzt. Er wollte, dass ich versuchte, ihn zu finden – doch konnte er nicht wissen, dass ich eine Eins plus im Finden hatte. Wenn ich nur halb so gut war, wie meine Bescheidenheit mir einzugestehen erlaubte, würde ich ihn erheblich rascher finden, als er annahm. Bestens: Wenn Weiss spielen wollte, ich war bereit.
    Aber wir würden nach Dexters Regeln spielen, nicht nach seinen.

20
    M ein Motto lautet stets: Das Wichtigste zuerst, denn wäre das Wichtigste nur das Zweit- oder Drittwichtigste, hieße es schließlich nicht das Wichtigste, nicht wahr? Doch Klischees existieren zur Freude der Armen im Geiste, nicht um Bedeutsames zu verkünden. Da mir im Moment ein wenig schwächlich zwischen den Ohren zumute war, schöpfte ich leisen Trost aus dieser Vorstellung, während ich die Polizeiakten von Brandon Weiss aufrief.
    Dort fand sich nicht viel: ein Strafzettel, bezahlt, und die Anzeige, die von der Behörde für Fremdenverkehr gegen ihn erstattet worden war. Weder gab es ausstehende

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