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Die schöne Kunst des Mordens

Titel: Die schöne Kunst des Mordens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeff Lindsay
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stand ich auf und hielt ihm die Hand hin. »Komm«, sagte ich. »Das wird prima.«
    Cody wirkte nicht überzeugt, aber er stand auf und betrachtete die Gruppe normaler Jungen, die sich um Deutsch scharte. Er richtete sich so gerade und hoch wie möglich auf, holte tief Luft, sagte: »Okay«, und marschierte hinüber, um sich der Gruppe anzuschließen.
    Ich sah zu, wie er sich vorsichtig durch die Menge schob, um seinen Platz zu finden, und dann dort ganz allein stand, mit allem Mut, den er aufbringen konnte. Es würde nicht leicht werden – nicht für ihn und nicht für mich. Er würde viele Unannehmlichkeiten erleben, während er versuchte, sich einer Gruppe anzupassen, mit der er absolut nichts gemeinsam hatte. Ein winziger Wolf, der versuchte, sich einen Lammpelz wachsen zu lassen und blöken zu lernen: bäääh! Und sollte er nur ein einziges Mal den Mond anheulen, wäre das Spiel vorbei.
    Und ich? Ich konnte nur zusehen und ihm vielleicht zwischen den Runden ein paar Tipps geben. Ich hatte eine ähnliche Phase durchgemacht, und ich erinnerte mich noch an den schrecklichen Schmerz: zu begreifen, dass dies auf immer und ewig nur für die anderen war und niemals für mich – Lachen, Freundschaft, das Gefühl der Zugehörigkeit waren Dinge, die ich niemals erfahren würde. Schlimmer noch, nachdem ich einmal begriffen hatte, dass ich ein Außenseiter war, musste ich vorgeben, all das zu empfinden, lernen, die Maske des Glücks zu tragen, um die tödliche Leere in meinem Inneren zu verbergen.
    Ich erinnerte mich an die grauenhafte Unbeholfenheit in den ersten Jahren; die ersten schrecklichen Versuche zu lachen, immer
     zum falschen Zeitpunkt, und immer klang es so vollkommen unmenschlich.
    Ebenso schwierig war, mit anderen einfach nur zu sprechen, leichthin, über die richtigen Dinge und mit den angemessenen, vorgetäuschten Empfindungen. Ich musste alles langsam, schmerzlich, unbeholfen erlernen, indem ich beobachtete, wie die anderen diese Dinge so mühelos taten, während ich den wachsenden Schmerz spürte, niemals diese Leichtigkeit des Ausdrucks zu erlangen. An und für sich nichts Besonderes, lachen zu können. Völlig belanglos, es sei denn, man weiß nicht wie und muss es lernen, indem man andere beobachtet, wie ich es tat.
    Wie Cody es jetzt tun musste. Er musste den gesamten grausamen Prozess der Erkenntnis durchlaufen, anders zu sein und immer zu bleiben, und dann lernen, wie man vorgab, es nicht zu sein. Und das war erst der Anfang, der erste, leichte Schritt auf dem Harry-Pfad. Danach wurden die Dinge komplizierter, schwieriger und schmerzhafter, bis ein komplett künstliches Leben gezimmert und errichtet war. Vollkommen künstlich, bis auf die wenigen, allzu seltenen Intervalle rasierklingenscharfer Realität, die man herbeisehnte – all das gab ich an Cody weiter, diese kleine und geschundene Kreatur, die hier so steif stand und mit so intensiver Konzentration nach einem Hinweis auf Zugehörigkeit suchte, den er niemals finden würde.
    Hatte ich wirklich das Recht, ihn in diese qualvolle Gussform zu zwingen? Bedeutete mein eigenes Martyrium tatsächlich, dass auch
er
es durchmachen musste? Denn wenn ich ehrlich zu mir war, hatte es in letzter Zeit für mich nicht besonders gut funktioniert. Der Harry-Pfad, scheinbar so klar, klug und korrekt, hatte einen Umweg ins Unterholz genommen.
    Deborah, die einzige Person auf Erden, die hätte verstehen müssen, zweifelte an seiner Richtigkeit, ja, an seiner Existenz, und nun lag sie auf der Intensivstation, während ich durch die Stadt stolperte und die Unschuldigen abschlachtete.
    Wollte ich das für Cody?
    Ich sah zu, wie er den Treueschwur nachsprach, und wusste keine Antwort.
    Und so war es ein sehr nachdenklicher Dexter, der nach dem Treffen nach Hause wankte, einen verletzten und unsicheren Cody
     im Schlepptau.
    Rita erwartete uns mit sorgenvoller Miene an der Tür. »Wie ist es gelaufen?«, fragte sie Cody.
    »Okay«, erwiderte er, doch seine Miene verriet, dass es nicht okay gewesen war.
    »Es war prima«, versicherte ich ein wenig überzeugender. »Und es wird noch viel besser.«
    »Muss es«, bemerkte Cody leise.
    Rita schaute von Cody zu mir und wieder zurück. »Ich … ich meine, habt ihr, hast du … Cody. Willst du weiter hingehen?«
    Cody blickte zu mir auf, und ich konnte fast sehen, wie kleine scharfe Klingen in seinen Augen blitzten. »Ich gehe«, sagte er zu seiner Mutter.
    Rita wirkte erleichtert. »Wunderbar«, sagte sie. »Echt,

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