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Die schöne Kunst des Mordens

Titel: Die schöne Kunst des Mordens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeff Lindsay
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gesellen, und das war ein Ansatzpunkt, etwas, was ich mit ihm tun konnte. Er war viel zu jung, um als einsamer Grübler zu gelten – wir mussten mit dem Aufbau seiner Tarnung beginnen.
    »Cody«, sagte ich, und er wandte mir seinen ausdruckslosen Blick. »Sieh dir die anderen Kinder an.«
    Er zwinkerte, dann drehte er den Kopf, um den restlichen Raum zu mustern. Kommentarlos sah er eine Minute lang zu, dann drehte er sich wieder zu mir. »Okay«, sagte er leise.
    »Alle rennen herum und haben Spaß, nur du nicht«, sagte ich.
    »Nein«, bestätigte er.
    »Und deshalb fällst du auf«, führte ich aus. »Du musst so tun, als hättest du hier Spaß.«
    »Ich weiß nicht, wie«, sagte er, für ihn eine längere Rede.
    »Aber du musst es lernen«, erwiderte ich. »Du musst wie die anderen wirken, sonst …«
    »Na, na, was stimmt denn nicht mit dir, kleiner Mann?«, dröhnte eine Stimme.
    Ein großer und geradezu anstößig fröhlicher Mann kam herüber und legte die Hände auf seine nackten Knie, um sein Gesicht dichter an Codys schieben zu können. Er platzte aus einer Gruppenleiteruniform, und der Anblick der haarigen Beine und des großen Bauchs schien vollkommen unpassend. »Du bist doch nicht schüchtern, oder?«, drängte er mit einem breiten, grässlichen Grinsen.
    Cody starrte ihn einen langen Moment an, und das Grinsen des Mannes begann ein wenig zu verblassen. »Nein«, antwortete Cody endlich.
    »Schön, gut«, sagte der Mann, richtete sich auf und trat ein Stück zurück.
    »Eigentlich ist er nicht schüchtern«, erklärte ich. »Er ist heute nur ein bisschen müde.«
    Der Mann richtete sein Grinsen auf mich, betrachtete mich einen Augenblick, dann streckte er die Hand aus. »Roger Deutsch«, stellte er sich vor. »Ich bin der Gruppenleiter. Ich möchte alle ein bisschen kennenlernen, bevor wir anfangen.«
    »Dexter Morgan«, erwiderte ich, während ich seine Hand schüttelte. »Das ist Cody.«
    Deutsch streckte Cody die Hand entgegen. »Hi, Cody, freut mich, dich kennenzulernen.« Cody sah auf die Hand, dann zu mir; ich nickte ihm zu, und er legte seine kleine Hand in die fleischige Pfote, die ihm hingehalten wurde. »Hi«, sagte er.
    »Und«, fuhr Deutsch erbarmungslos fort, »warum kommst du zu den Pfadfindern, Cody?«
    Cody warf mir einen Blick zu. Ich lächelte, und er wandte sich wieder an Deutsch. »Spaß haben«, sagte er, während seine kleine ausdruckslose Miene den Eindruck erweckte, er befände sich auf einer Beerdigung.
    »Großartig«, sagte Deutsch. »Pfadfinder sein soll Spaß machen. Doch es gibt auch einen ernsten Teil. Du kannst alle möglichen coolen Sachen lernen. Gibt es etwas, was du besonders gern lernen möchtest, Cody?«
    »Tiere schnitzen«, erwiderte Cody, und ich hatte meine liebe Not, nicht vom Stuhl zu fallen.
    »Cody«, mahnte ich.
    »Nein, das ist schon in Ordnung, Mr. Morgan«, beschwichtigte Deutsch. »Wir machen viele handwerkliche Sachen. Wir können mit Seifenschnitzen anfangen und dann allmählich zu Holz übergehen.« Er zwinkerte Cody zu. »Machen Sie sich keine Sorgen, weil er mit Messern hantiert, wir passen auf, dass er sich nicht wehtut.«
    Es schien taktisch unklug, darauf hinzuweisen, dass ich mir absolut keine Sorgen machte, Cody könnte sich mit einer Klinge in der Hand
selbst
verletzen. Er wusste bereits ganz genau, an welchem Ende man sie hielt, und er hatte eine frühreife Begabung dafür gezeigt, sie in die richtige Stelle zu bohren. Doch war ich ziemlich sicher, dass Cody bei den Pfadfindern nicht die Art von Tierschnitzerei lernen konnte, die er im Sinn hatte – zumindest nicht bis zum Rang eines Stammleiters. Deshalb antwortete ich nur: »Wir reden mal mit Mom und hören, was sie dazu sagt«, und Deutsch nickte.
    »Großartig«, sagte er. »In der Zwischenzeit nur nicht so schüchtern. Stürz dich einfach rein, Kumpel.«
    Cody sah mich an und nickte dann Deutsch zu.
    »In Ordnung«, sagte Deutsch, der sich endlich aufrichtete. »Na, dann wollen wir mal anfangen.« Er lächelte mich an und ging zurück, um die Truppe zusammenzutrommeln.
    Cody schüttelte den Kopf und flüsterte etwas. Ich beugte mich zu ihm hinunter. »Was?«
    »Reinstürzen«, flüsterte er.
    »Das ist nur so ein Ausdruck«, versicherte ich ihm.
    Er blickte zu mir auf. »Blöder Ausdruck.«
    Deutsch hatte um Ruhe bittend den Raum durchquert und die Kinder zusammengerufen, die sich jetzt vorn versammelten.
    Es war Zeit für Cody, sich hineinzustürzen, wenn auch nur langsam. Deshalb

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