Die schoene Luegnerin
«
»Sobald ich meine Sachen gepackt habe«, erwiderte Carrie.
Mrs. Montgomery blinzelte und sah dann ihr jüngstes Kind an. »Und was willst du in diese Wildnis mitnehmen? «
»Alles«, lautete Carries Antwort auf diese, wie sie fand, merkwürdiges Frage. »Ich habe mir vorgenommen, alles, was ich besitze, mit nach Colorado zu nehmen. «
Carries Eltern brachen unvermittelt in Gelächter aus, und Carrie war verwirrt.
Sie straffte ihre Schultern und stand auf. »Wenn ihr mich jetzt bitte entschuldigen wollt, ich gehe in mein Zimmer und fange an zu packen, damit ich so früh wie möglich die Reise zu meinem Mann antreten kann. « Dann verließ sie mit unsicheren Schritten den Raum.
3. Kapitel
Mrs. Joshua Greene wedelte sich mit einem Federfächer, der einen echten Elfenbeingriff hatte, Luft zu und streichelte den kleinen Hund, der neben ihr saß, während sie versuchte, ihr wild klopfendes Herz zu beruhigen. In ein paar Minuten würden sie und die anderen Passagiere der Postkutsche in Eternity ankommen — ganze vier Tage später als geplant. Sie fragte sich, ob ihr Ehemann zur Poststation kommen würde, um sie abzuholen.
Jedesmal, wenn ihr das Wort Ehemann in den Sinn kam, lächelte sie und dachte an die Freude, die Joshs Miene ausdrücken würde, wenn er begriff, daß seine neue Frau keine Figur wie ein Ackergaul hatte, sondern ein junges Mädchen war, das... na ja, das anziehend war.
Als sie überlegte, wie wohl die erste gemeinsame Nacht werden würde, fächelte sie sich noch heftiger kühle Luft zu. Auch wenn ihre Brüder der Meinung waren, daß ihre kleine Schwester rein wie frischgefallener Schnee war und keine Ahnung hatte, was in der Welt geschah, hatte Carrie eine Menge gelernt, wenn sie still in einer Ecke gesessen und den Bemerkungen ihrer Brüder über das Jungesellenleben gelauscht hatte. Sie war überzeugt, daß sie viel mehr über diese Dinge wußte als jedes andere Mädchen in ihrem Alter. Und eines war ganz sicher: Sie hatte keinerlei Angst vor dem, was zwischen einem Mann und einer Frau geschah. Diese Angelegenheit mußte, wie sie aus den Kommentaren und dem Gelächter ihrer Brüder schließen konnte, sehr aufregend, vergnüglich und erstrebenswert sein, und Carrie sah diesem Ereignis mit Vorfreude entgegen.
Als die Kutsche endlich in Eternity ankam und auf die Poststation zufuhr, sah sie ihn, noch ehe das Gefährt hielt.
»Ist er da? « fragte die Frau, die Carrie gegenübersaß.
Carrie lächelte scheu und nickte. Sie und diese Frau hatten die letzten siebenhundert Meilen gemeinsam zurückgelegt, und Carrie hatte ihr erzählt, daß sie zu ihrem frischangetrauten Ehemann fuhr. Sie hatte ihr natürlich nicht alle Details der Vorgeschichte anvertraut und verheimlicht, daß ein Brief voller Lügen dazu geführt hatte, daß Josh in die Fernheirat eingewilligt hatte — sie hatte statt dessen auf blumige Weise eine romantische Geschichte von zwei Menschen erfunden, die sich während eines regen Briefwechsels ineinander verliebt und auf die Entfernung geheiratet hatten. Zum Schluß hatte sie gestanden, daß sie ihren Mann am Ende ihrer Reise zum erstenmal sehen würde.
Die Frau, die mit Mann und vier Kindern in Kalifornien lebte, beugte sich vor und tätschelte Carries Hand. »Er wird sich nur noch mehr in Sie verlieben, wenn er Sie erst zu Gesicht bekommt. Er kann sich glücklich schätzen. «
Carrie starrte auf ihre Hände und wurde puterrot.
Als die Kutsche schließlich anhielt, überkam Carrie mit einem mal Angst, und all die Warnungen und Prophezeiungen ihrer Freundinnen und ihrer Eltern schossen ihr in diesem Augenblick durch den Kopf. Was, in aller Welt, hatte sie nur getan?
Zwei Männer stiegen aus der Kutsche aus, aber Carrie blieb sitzen und schob den ledernen Vorhang ein wenig zur Seite, um durch den Spalt den jungen Mann, der mit unbeweglichem Gesicht auf der Veranda der Poststation stand, zu betrachten.
Sie hätte ihn überall erkannt. Das war Josh, ihr Ehemann. Insgeheim und ohne von ihm gesehen zu werden, musterte sie ihn prüfend. Er war kleiner als ihre Brüder, knapp einsachtzig, aber er war ebenso kräftig gebaut wie sie und hatte breite Schultern und schmale Hüften. Er sah wirklich sehr gut aus. Der Blick aus seinen dunklen Augen wirkte durchdringend, während er an der Wand des Hauses lehnte und die Postkutsche intensiv anstarrte. Er machte den Eindruck, als ob ihn die ganze Welt nichts angehen würde. Carrie registrierte mit Kennerauge, daß der schwarze Anzug, den
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