Die schoene Luegnerin
freundlich grüßten, nicht einmal an. Sie wollte nur noch weg von hier. Sie wollte ihren Bruder abholen und ihn bitten, alles für ihre Abreise nach Maine zu arrangieren. Dort bin ich wieder das Nesthäkchen der Familie, dachte sie, das kleine Mädchen, das alle wie ein Spielzeug behandelten. Dort werde ich keine eigene Familie mehr haben und keinen Mann, der nur mich liebt. Aber wenn sie genau darüber nachdachte, dann mußte sie zugeben, daß sie das hier auch nicht hatte.
Sie kam um halb vier Uhr — dreißig Minuten bevor die Kutsche laut Fahrplan eintreffen sollte — zur Poststation. Der Mann am Schalter lachte, als er sie sah. »Die Kutsche ist seit Jahren nicht pünktlich gewesen, und sie ist’s heute bestimmt auch nicht. Ich hab’ gehört, daß die Indianer Schwierigkeiten machen. Wahrscheinlich dauert’s noch ein paar Tage, bis sie kommt. «
Carrie würdigte ihn keines Blickes. »Mein Bruder wird dafür sorgen, daß sie rechtzeitig hier ist«, sagte sie matt, als sie sich auf die Bank sinken ließ.
Bei dieser Erklärung brach der Mann in schallendes Gelächter aus und stürmte aus dem Gebäude. Zweifellos wollte er den Rest der Bevölkerung mit diesem Witz erheitern.
Er war noch nicht einmal zwei Minuten weg, als Josh den Raum betrat.
»Meine Güte«, sagte Carrie, »wenn das nicht Noras Ehemann ist. « Sie drehte sich zur Wand.
Josh setzte sich neben sie und ergriff ihre Hand, aber Carrie zog sie weg.
Er umfaßte ihre Schulter und zwang sie, ihn anzusehen. »Carrie, ich habe etwas von dir gelernt: Man darf sich nie geschlagen geben. Niemals. «
»Manchmal bleibt einem nichts anderes übrig. « Sie versuchte sich ihm zu entziehen, aber das ließ er nicht zu.
»Ich habe dir nichts von Nora erzählt, weil ich sicher war, daß sie nie mehr in mein Leben treten würde. So einfach ist das. Du hast den Brief gelesen. Ich war überzeugt, daß die Scheidung rechtskräftig ist und daß ich alle notwendigen Papiere schon vor einem Jahr unterzeichnet hatte. Und ich war sicher, daß sie die Abfindung, die ich ihr bezahlt habe, zufriedengestellt hätte. «
»Was hast du ihr sonst noch gegeben? Deine ganze Liebe? «
»Nora wollte keine Liebe. Sie wollte nur Geld, und deshalb habe ich ihr jeden Cent, den ich besaß, gegeben. Nachdem ich meinen ganzen Besitz — die Kleider eingeschlossen — zu Geld gemacht hatte, um sie loszuwerden und meine Kinder bei mir behalten zu können, forderte sie noch mehr. «
»Sie wollte dich«, stellte Carrie fest.
Josh lächelte. »Du bist die einzige Frau der Welt, die mich wirklich will — trotz meiner Übellaunigkeit und meiner Unfähigkeit, eine Farm auf Trab zu bringen. Du willst mich und die Kinder, obwohl ich dir außer meiner grenzenlosen Liebe nichts bieten kann. «
»Halt den Mund«, flüsterte sie mit tränenerstickter Stimme.
»Carrie, es tut mir alles so leid. Und ich bitte dich um Vergebung, daß ich dich falsch eingeschätzt und für eine törichte Person gehalten habe. « Er verzog das Gesicht, als sie Protest erheben wollte. »Kannst du mir deswegen Vorwürfe machen? Jeder Mann, der dich sieht, muß doch denken, daß du viel zu hübsch bist, um Verstand zu haben. Außerdem habe ich die Erfahrung gemacht, daß hübsche Mädchen an nichts anderes als an sich selbst denken. «
»Ist deine Frau hübsch? «
»Meine ehemalige Frau. Nein, Nora ist nicht gerade hübsch. « Er löste ihre Hutbänder und band sie zu einer hübschen Schleife unter ihrem Kinn. »Ich liebe Nora nicht. Ich bin nicht mal sicher, ob ich es je getan habe. «
»Aber sie ist die Mutter deiner Kinder. «
»Na ja, ich habe sie auch nicht gehaßt. «
Carrie machte Anstalten, aufzustehen, aber er hielt sie zurück. »Ich liebe dich, und ich möchte, daß du mich heiratest und bei mir und den Kindern bleibst. Für immer. Genau das wolltest du doch auch, als du uns das erste Mal gesehen hast, oder nicht? «
Carries Blick verriet sie wieder einmal. »Ich glaube nicht, daß ich dich noch mag. Du hast mich belogen. «
»Ich habe nicht gelogen. Ich dachte wirklich, daß ich ein geschiedener Mann bin. Noras Brief war für mich genau so ein großer Schock wie für dich. «
Da sie ihm nicht antwortete, zog er sie in seine Arme, aber es dauerte einen Augenblick, bis sich Carrie entspannte. »Mein Bruder... «
»Überlaß deinen Bruder mir. «
»Du kennst ihn nicht. Er wird schrecklich wütend, wenn er hört, daß ich... die Frau eines... verheirateten Mannes bin. «
»Ganz zu schweigen davon,
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