Die schöne Rivalin
Hubschrauber heran und begann, um den Felsen und die Bucht zu kreisen. Corbet zuckte nervös mit den Augenlidern.
»Jaja, so ein Hubschrauber ist ein brauchbares Ding«, stellte Bouchard gemütlich fest. »Die Männer da oben sehen jetzt alles, was bei Ihnen und in der Umgebung Ihres Besitzes geschieht. Nach zwei Stunden werden sie abgelöst. Ich habe die ganze Staffel mobilisieren lassen.«
»Sie sind – verzeihen Sie, Kommissar – ein verrücktes altes Huhn!« rief Corbet dumpf.
»Jung bin ich nicht mehr, leider, da haben Sie recht.« Bouchard dehnte sich wie nach einem erquickenden Schlaf. »Logisch denken kann ich allerdings noch recht gut. Da wir ganz unter uns sind, wäre es doch angebracht, sich einmal ehrlich miteinander zu unterhalten – falls Sie überhaupt noch wissen, was ehrlich eigentlich bedeutet. Leisten können Sie es sich jetzt jedenfalls, da Sie von hier aus direkt in die Zelle wandern und sich vor Ihrem großen Boß nicht mehr zu verantworten brauchen. Der Fall liegt für mich sonnenklar: Da wird ein in St. Tropez preisgekröntes Foto geklaut und der Fotograf eingeschüchtert, weil man nun auch nach dem Negativ sucht. Als sich herausstellt, daß es im Besitz einer jungen Frau in Hamburg ist, wird diese Frau entführt. Und das alles nur, weil auf dem Bild zwei Männer zu sehen sind. Einer davon ist der uns allen bekannte Roger Corbet, und der andere … Aha! Um ihn geht es! Um sein Gesicht vor Neugierigen zu verbergen, schreckt man vor keinem Verbrechen zurück, sei es eine Entführung, sei es sogar Mord. Weil es sehr viele solche Neugierige gibt, zum Beispiel die Rauschgiftfahnder in allen europäischen Ländern, in den USA, im Vorderen Orient und in Asien. Dieses Gesicht gehört nämlich dem obersten Boß einer Organisation, die seit mehr als zehn Jahren tonnenweise Opium nach Europa und Amerika einschleust. Was keiner Polizei jemals gelang, das erreicht ganz zufällig eine junge deutsche Frau: die Entlarvung des geheimnisvollen Chefs der Verbrecherorganisation. Und nun ist sie unfreiwillig auf dem Weg hierher, weil man erstens den Verbleib des Negativs aus ihr herausprügeln und sie zweitens für alle Zeiten verschwinden lassen will. Nur so kann das Geheimnis des großen Unbekannten gewahrt bleiben … nur so könnte es gewahrt bleiben, wenn nicht dieser dumme Fehler in der Berechnung wäre: Derjenige, der Sonja Bruckmann in Hamburg entführt hat und sie hierher bringt, weiß ja nicht, daß nicht nur sein Auftraggeber, sondern auch die Polizei ihn erwartet. Er wird uns also ahnungslos in die Arme laufen.«
»Diesen fantasievollen Krimi kauft Ihnen jeder Fernsehsender mit Kußhand ab. Haben Sie noch mehr solcher abenteuerlichen Märchen auf Lager?« Corbet ging zu dem großen runden Panoramafenster und starrte auf das blaue Meer. Der Hubschrauber kreiste über der Bucht wie eine Riesenlibelle. Die Situation war doch gefährlicher als er beim Auftauchen des Kommissars angenommen hatte. Woher kannte Bouchard die Zusammenhänge? Wie konnte man jetzt Bombani warnen? Wo trieb er sich mit dem deutschen Mädchen herum? Er hätte längst da sein müssen.
Corbet hüstelte nervös. Er sah nun ein, daß er mit Ricardo Bombani den falschen Mann nach Hamburg geschickt hatte. Erst versagte er beim Auffinden des Fotonegativs, und dann hielt er den Zeitplan der Entführung nicht ein und verschafft damit der Polizei einen Vorsprung. Wäre er mit dieser Deutschen bereits in Cannes eingetroffen gewesen, bevor der Kommissar hier im Haus auftauchte, würde Bouchard verloren haben. Jetzt war es kaum noch möglich, die Sache zum Guten zu wenden. Laut aber sagte Corbet:
»Sie werden sehen, Kommissar, daß alles nur ein blinder Alarm ist. Und eines schwöre ich Ihnen: Wenn sich meine Unschuld erwiesen hat, dann Gnade Ihnen Gott! Sie werden keinen ruhigen Lebensabend genießen können!«
»Über Ihre Drohungen kann ich nur lachen.« Bouchard schlug die Beine übereinander. »Bereiten Sie sich lieber darauf vor, daß Sie in Kürze Ihre bombastische Felsenvilla für lange Zeit verlassen müssen. Aber mit wenig Gepäck! Wie Sie ja schon wissen, dürfen Sie eine Zahnbürste mitnehmen, mehr aber auch nicht!«
Nach den Kilometerangaben auf der Autokarte hatte Bombani ausgerechnet, daß das Benzin noch bis Lyon reichte, wenn man keinen Umweg machte. Von Lyon bis Cannes aber waren es dann noch …
Er faltete die Karte wieder zusammen; er wollte gar nicht wissen, wieviel Kilometer es noch waren. Ob 200 oder 2.000, es
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