Die schoene und der Lord
Geräuschteppich, der die überlaufenen unteren Korridore erfüllte.
Eigentlich hatte er auf ein ruhiges Abendessen vor dem Schlafengehen gehofft. Jetzt wurde ihm klar, daß daraus nichts werden würde.
Es war noch früh, nicht ganz acht Uhr, und doch wimmelte die Eingangshalle von überwiegend modisch gekleideten Männern, die darum wetteiferten, die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Fast jeder Mantelhaken unter dem Treppenaufgang aus poliertem Mahagoni war bereits belegt. Brummell und sein Kreis hatten ihren Stammplatz unter dem Bogenfenster bezogen, das auf die St. James Street hinausging, und amüsierten sich kichernd über den einen oder anderen armen Tropf, den sie mit einer Bosheit bedacht hatten, wenn sie nicht gerade Prisen Schnupftabak aus eleganten Tabaksdosen fischten. Weiter drinnen, im Kartenzimmer, herrschte ein dichtes Gedränge; wer nicht gerade spielte, stand müßig dabei und sah denen zu, die im Begriff waren, mit riskanten Einsätzen am Spieltisch ganze Vermögen zu gewinnen oder zu verlieren.
Es war offensichtlich: die Saison hatte begonnen.
Ein solches Spektakel hatte Robert seit den Jubelfeiern im vergangenen Juni nicht mehr gesehen, als er, der Großteil der Armee und der hochdekorierte Feldherr Wellington nach London zurückgekehrt waren, um Englands großartigen Sieg über die Franzosen zu begehen. Während er seinen Umhang ablegte und ihn dem Bediensteten reichte, fragte Robert sich einen kurzen Moment lang, ob der Herzog jetzt doch zum Premierminister ernannt worden war; dieses Gerücht war erstmals aufgekommen, nachdem Wellington abgereist war, um zu den Friedensverhandlungen nach Wien zurückzukehren. Allerdings schloß Robert aus den Gesprächsfetzen, die er aufschnappte, während er sich einen Weg zur Treppe bahnte, daß die Gedanken der meisten heutzutage nicht um Wien, Wellington oder sogar Bonaparte kreisten — den man auf Elba in die sichere Verbannung geschickt hatte —, sondern um das Dilemma der im Parlament eingebrachten Mais-Verordnung.
Robert machte in der hinteren Ecke des Speisesaals einen freien Tisch ausfindig, einen der letzten. Beim Kellner, der ihn ehrerbietig begrüßte, bestellte er zum Essen eine Flasche Rotwein mit drei Gläsern.
Eine kleine Feier war angebracht, denn dies würde schließlich der letzte Abend sein, den er als Junggeselle in London verbrachte. Die Verträge waren heute vormittag unterschrieben worden und besiegelten seinen bis dato heikelsten Erwerb, von dem er allerdings wußte, daß er die vorangegangenen langen Mühen wert sein würde. Am folgenden Tag würde Robert nach Lancashire und Devonbrook House abreisen, um seinen Vater über seine bevorstehende Heirat in Kenntnis zu setzen.
»Na, wie ein Mann, der gerade erst auf Herz und Nieren geprüft worden ist, siehst du jedenfalls nicht aus, Rob.« Robert hob den Blick, als Noah, sein jüngerer Bruder, sich auf
dem Platz ihm gegenüber niederließ. Sein kastanienbraunes Haar, nur eine Nuance heller als Roberts Haare, war so zerzaust, als sei er in starken Wind geraten, und seine Stiefel sahen wie immer aus, als könnten sie eine gründliche Reinigung vertragen.
»Daß Lord Hastings die Verhandlungen angenehm gestaltet hätte, würde ich zwar nicht gerade behaupten, aber es ist mir gelungen, sie zu überstehen, ohne an meiner Männlichkeit Schaden zu nehmen«, sagte Robert und starrte auf die schiefe Schleife und die verräterischen Knitter in Noahs Halsbinde. Er konnte ein Kopfschütteln nicht unterdrücken und fragte sich, ob sein Bruder jemals einen ordentlichen Knoten zustande bringen würde. »Dir dürfte nicht entgangen sein, daß es Leitfäden zu kauten gibt, denen zu entnehmen ist, wie man eine Halsbinde korrekt umlegt.«
Noah hob den Blick von dem Nachrichtenblatt, das er gerade überfliegen wollte, und seine perlmuttgefaßten Augengläser glänzten im Kerzenschein. »Dir entgeht aber auch gar nichts, nicht wahr? Es ist dir gerade gelungen, dir eines der gesuchtesten Juwele der Gesellschaft zu sichern, und alles, was dich da beschäftigt, ist der bedauernswerte Zustand meiner Halsbinde?« Noah schüttelte den Kopf und wandte sich wieder seiner Lektüre zu. »Und außerdem kenne ich diese Leitfäden, Rob; Mr. Goodfellows Lateinaufgaben waren ein Kinderspiel dagegen.«
Bei der Erwähnung ihres früheren Hauslehrers mußte Robert lächeln; diesem Mann war es gelungen, selbst den spannendsten Unterrichtsstoff langweilig erscheinen zu lassen. Noah und Robert hatten
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