Die Schöne und der Tod (1)
für einen wie mich. Das wollte Emma einfach nicht verstehen.
– Wien ist berühmt für seine Strizzis.
– Das sind mittlerweile Türken und Russen, keine Wiener Strizzis. Schau dich mal um hier.
– Ein paar wird es schon noch geben. Und für die ist Wien berühmt.
– Das schau ich mir an, ob wir noch einen Gangster finden, der Deutsch spricht. Wenn nicht heute, wann dann?
– Max, Klappe jetzt. Welcher Stock?
– Neunter. Einfach irgendwo läuten.
– Du bist manchmal echt peinlich.
– Ich weiß.
– Aber ich mag dich trotzdem.
Sie versuchen es einige Male, drücken auf ausländische Namen, dann geht die Tür auf. Sie fahren nach oben, der Lift ist vollgeschmiert, alt, der Gang finster. Max entscheidet sich für eine Tür und klopft. Klopfen ist persönlicher, sagt er. Sie warten. Nichts, niemand öffnet. Baroni klingelt bei der nächsten Tür, dann bei der übernächsten. Keiner macht auf, keiner will mit den beiden Männern reden. Max geht ein Stockwerk nach unten, Baroni nach oben, sie trennen sich, läuten, klopfen, sie wollen mit jemandem reden, der weiß, was passiert ist. Irgendjemand muss wissen, warum sie in diesem schäbigen Haus war. Max klopft.
Eine ältere Frau mit Kopftuch öffnet, sie lächelt sogar. Als Max erklärt, was er will, bittet sie ihn in ihre Wohnung, sie freue sich über einen Besuch, sagt sie. Energisch schiebt sie ihn vor sich her in die Küche. Keine Angst, denkt Max. Ihm wird hier nichts passieren, im Notfall kann er die Alte überwältigen, sonst scheint niemand in der Wohnung zu sein. Max setzt sich. Die Alte serviert Schwarztee. Dann setzt sie sich ihm gegenüber hin und faltet die Hände.
– Was willst du wissen?
– Danke für den Tee.
– Gerne. Der ist aus meiner Heimat, macht schön.
– Woher kommen Sie?
– Ich bin Wienerin.
– Und woher ist der Tee?
– Ist unten vom Türken.
– Schmeckt gut. Und Sie sind schön, der Tee hält also, was er verspricht.
– Ach, Junge, du willst dich lustig machen, ich bin alt und faltig. Lieb von dir, trotzdem.
– Sie sprechen gut Deutsch.
– Ich sagte doch, ich bin Wienerin. Seit vierzehn Jahren. Ist eine gute Stadt.
– Das höre ich heute schon zum zweiten Mal.
– Ist so.
– Warum Wien?
– Warum nicht.
– Warum sind Sie hier?
– Wo sollte ich sonst sein?
– In Ihrer alten Heimat? Irgendwo in einem türkischen Dorf?
– Bist du blöd, oder was?
– Man kann nicht immer weglaufen. Manchmal muss man bleiben.
– Was soll ich da, in meinem Dorf? Du bist ein guter Junge, aber du musst dumm sein, wenn du so redest.
– Ich bin zurückgegangen in mein Dorf.
– Kleines Dorf?
– Ja. Ich war einige Jahre hier in Wien, dann bin ich wieder zurück.
– Selbst schuld.
– Vielleicht.
– Mein Junge, warum erzählst du mir das? Bist du deshalb hier?
– Nein.
– Warum dann?
– Ich hatte eine Freundin hier in Wien.
– Und du hast sie hiergelassen?
– Ja.
– Was ist los mit dir, Junge? Hast du ein schweres Herz, wegen dem Mädchen? Wie lange ist es her?
– Zu lange.
– Wird wieder.
– Nein, wird nicht wieder.
– Trink den Tee, dann wird alles gut.
– Hast du einen Schnaps?
– Meinst du, Tee hilft nicht?
– Nein.
– Dann Schnaps. Aus Anatolien. Macht auch schön.
– Danke.
– Und? Was willst du jetzt wissen von mir?
– Das Mädchen, das gesprungen ist. Ich kannte sie.
– Deine Freundin?
– Sie war die Schwester von der Frau, die ich hiergelassen habe.
– Armes totes Mädchen.
– Kannten Sie sie?
– Nicht wirklich. Sie kam jeden Monat für ein paar Tage. Sie ging in die Wohnung über mir und nicht wieder heraus. Hört man alles, jeden Schritt, das Wasser, die Toilette, die Tür. Armes Mädchen. Ist einfach gehüpft.
– Was wissen Sie über sie?
– Dass sie schön war. Ich habe sie gesehen im Treppenhaus, so ein schönes Gesicht. Aber so dünn. Sie hat nicht gegessen, ich dachte, dass sie verhungert irgendwann. Dann springt sie einfach.
– Haben Sie mit ihr gesprochen?
– Nein, nein. Du hast Glück, dass ich überhaupt etwas weiß. Sonst weiß niemand etwas über die anderen in diesem Haus. Hier ist jeder für sich.
– Sie nicht?
– Ich schaue gerne zu, draußen vom Balkon. Ich will wissen, was um mich herum passiert.
– Haben Sie etwas gesehen?
– Nur wie sie unten gelegen ist. Tot auf der Wiese, die Hände wie ein Engel, wie Flügel. Das schöne, dürre Mädchen.
– Sie haben gesehen, wie sie gesprungen ist?
– Nein. Aber andere haben es
Weitere Kostenlose Bücher