Die schönsten Dinge
Platz bot, aber ohne richtige Pflege übersäen die Bäume den Boden mit runzligen, ätzend sauren Früchten. Zum Landwirt taugt keiner von uns.
Mein Vater erzählt gerne die Geschichte, wie wir an das Haus gekommen sind. Einer unserer Vorfahren vor über einhundert Jahren war ein gerissener Spekulant. Als eine neue Eisenbahnlinie in Richtung Süden gebaut werden sollte, erfuhr er von einem befreundeten Parlamentsabgeordneten schon vorab, wie sie genau verlaufen sollte. Bemerkenswert vorausschauend kaufte er das ganze Land entlang der Strecke auf, und als die Pläne veröffentlicht wurden, verkaufte er es für eine sagenhafte Summe. Eine geniale Aktion, die ihn nicht mehr kostete als ein groÃzügiges Geschenk für seinen Politikerfreund. Mit dem Gewinn kaufte er das Haus in der Cumberland Street. Heutzutage würde man ein so groÃes Haus nicht mehr finden, aber damals wurde für groÃe Familien mit Dienstboten und Wochenendgesellschaften gebaut. Schon das Grundstück wäre ein Vermögen wert. Aber es gehört uns, ohne Hypotheken oder Schulden, und wir werden es nie hergeben.
Heute gibt es hier in dieser Gegend nirgendwo mehr Farmen. Die Ausläufer der Stadt haben uns erreicht, die Nachbarn rücken immer näher. Alle paar Wochen steckt ein Faltblatt im Briefkasten, auf dem ein Makler aus der Stadt fragt, ob mein Vater nicht verkaufen will. Mein Vater wirft die Dinger mit einem abfälligen Schnauben in den Müll.
Cumberland Street wäre groà genug für ein kleines Hotel oder Krankenhaus. Das Haus hat einen Speiseaufzug, offene Kamine, mehrere Keller und eine Unzahl von Zimmern mit unterschiedlichen Wandfarben und gepunkteten, gestreiften und geblümten Tapeten. Die Teppiche sind bunt zusammengewürfelt, die Fliesen kommen aus dem Ausland, von weit her. Es gibt Flure und Türen, die nirgendwohin führen. Durch Anbauten aus verschiedenen Jahrzehnten, Früchte besonders erfolgreicher Coups, sind zu einem wahren Labyrinth zusammengewachsen. Im Haupthaus gibt es mindestens ein Dutzend Schlafzimmer, dazu kommen einige bewohnbare Hütten unter den Apfelbäumen, in denen man Sachen verstecken kann. Es gibt Keller und Schlupfwinkel, die nur wir finden können, unter ebenerdigen Falltüren, die ganz mit Blättern bedeckt sind. Für uns Kinder war es ein absolut magischer Spielplatz, ein Land voller Verstecke und geheimer Nischen.
Hier im Esszimmer essen und arbeiten wir, allerdings benutzt mein Vater auch immer noch sein geheimes Arbeitszimmer unter der Falltür in der Küche. Auf der Anrichte stapelt sich das schmutzige Geschirr vom Abendessen. In einer Ecke steht eine alte Tafel, die wir bei der Planung benutzen. Zu einem neumodischen Whiteboard lässt sich mein Vater nicht überreden. Und Papier kommt natürlich nicht infrage. Auf einem kleinen Beistelltisch steht das elfenbeinerne Schachspiel meines Vaters. Damit hat er uns beigebracht, wie wichtig es ist, strategisch vorzugehen. Wir haben schon als Kinder gelernt, zu spielen wie der Teufel.
»Um Himmels willen, Dad«, sage ich. »Ein Nobelpreis?«
Mein Vater kommt mir vor wie ein Footballtrainer mit seinen Diagrammen und Plänen und Rollenzuweisungen. In einer Hand hält er ein Stück Kreide, die andere tanzt über die Tasten seiner altmodischen Addiermaschine, eine von der Sorte, die eine Papierschlange über den ganzen Tisch schiebt. Kichernd dreht er den Ring am kleinen Finger. In unserer Familie tragen alle Männer einen solchen Ring mit einem echten, möglichst wertvollen Stein. Das ist eine alte Gaunertradition, damit Familie und Freunde im schlimmsten Fall nicht für eine Beerdigung aufkommen müssen.
»Ich habe nicht behauptet, ich hätte einen Nobelpreis, Della. Das wäre dumm. Ich habe deinem Professor gegenüber nur angedeutet, in den nächsten Wochen wäre vielleicht mit der Bekanntgabe zu rechnen. Und ich habe es ihm nur unter Kollegen erzählt, streng im Vertrauen.«
»Er wird es in der ganzen Stadt herumtratschen.«
»Mit Sicherheit, zumal er beim Grab seiner Mutter geschworen hat, er würde keiner Menschenseele etwas verraten. Aber das macht nichts. Dein Professor wird es so überzeugt weitererzählen, dass unter hundert Leuten nicht einer muckt und zugibt, er hätte noch nie von mir gehört â oder hätte noch nie den Namen gehört, den du für mich ausgesucht hast. Sie werden
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