Die schönsten Erzählungen (Die schönsten Erzählungen / Geschichten) (German Edition)
genau an die Anordnungen des Arztes zu halten, wie es sonst alle vernünftigen Leute tun. Heute nimmt er vielleicht seine Tropfen ein, beachtet die Diätvorschriften und geht zur normalen Zeit zu Bett; aber morgen, wenn ich mal nicht darauf geachtet habe, vergisst er plötzlich, die Medizin einzunehmen, isst Stör, was er nicht darf, und sitzt bis ein Uhr nachts beim Kartenspiel.«
»Nun, wann ist denn das schon mal vorgekommen?«, fragte dann wohl Iwan Iljitsch gereizt. »Das eine Mal bei Pjotr Iwanowitsch.«
»Und gestern bei Schebek.«
»Ich hätte ja sowieso vor Schmerzen nicht schlafen können.«
»Um eine Ausrede bist du nie verlegen, aber so wirst du nie gesund werden und quälst uns nur.«
Wenn Praskowja Fjodorowna mit anderen oder mit ihm selbst über seine Krankheit sprach, klang es immer so, als habe er sie selbst verschuldet und als sei seine ganze Krankheit nur eine weitere Unannehmlichkeit, mit der er ihr das Leben erschwere. Er wusste, dass sie das alles unüberlegt und nicht mit Vorbedacht sagte, doch dadurch wurde die Kränkung nicht vermindert.
Auch im Gericht bemerkte oder glaubte er neuerdings ein verändertes, ihn unangenehm berührendes Verhalten seiner Kollegen ihm gegenüber zu bemerken. Bald schien es ihm, man sehe ihn daraufhin an, ob er bald gezwungen sein würde, seinen Platz zu räumen, bald fühlte er sich verletzt, wenn die Kollegen einmal in gutmütigem Ton die Sorge um seinen Gesundheitszustand bespöttelten – als ob jenes Furchtbare, unvorstellbar Schreckliche, das sich in seinem Innern gebildet hatte, das ohne Unterlass an ihm saugte und ihn unaufhaltsam irgendwohin zog, der amüsanteste Anlass zu Witzeleien sei! Insbesondere Schwarz, der ihn durch seine Eleganz und sein ganzes lebensprühendes Wesen daran erinnerte, wie er selbst einmal vor zehn Jahren gewesen war, fiel ihm ständig auf die Nerven.
Eines Abends kamen Freunde zu ihm, und man setzte sich zu einer Partie Whist zusammen. Die neuen, noch steifen Karten wurden auseinandergebogen, verteilt, und jeder sortierte die seinen: Iwan Iljitsch hatte sieben Karos. Sein Partner sagte: »Ohne Trumpf!« und spielte zweimal nacheinander Karo aus. Was konnte man noch mehr wünschen? Iwan Iljitsch, sollte man meinen, hätte in bester Stimmung sein müssen: Ein Schlemm war jetzt so gut wie sicher. Doch unversehens verspürte er wieder diesen saugenden Schmerz, diesen greulichen Geschmack im Munde, und es kam ihm widersinnig vor, dass er sich dabei noch über einen Schlemm freuen konnte.
Iwan Iljitsch sah zu, wie Michail Michailowitsch, sein Partner, mit seiner kräftigen Hand auf den Tisch schlug und dann aus höflicher Nachsicht davon absah, die Stiche selbst einzuheimsen, sondern sie ihm zuschob, um ihm das Vergnügen zu lassen, die Karten ohne Anstrengung, ohne die Hand bis zur Mitte des Tisches ausstrecken zu müssen, an sich zu nehmen. Meint er denn, ich sei schon so schwach, dass ich nicht mehr den Arm ausstrecken kann?, dachte Iwan Iljitsch, vergaß dabei die Trümpfe, spielte eine falsche Karte aus – und der Schlemm war verloren. Das Erschreckendste dabei aber war, dass ihn dieses Pech im Gegensatz zu Michail Michailowitsch, den es begreiflicherweise sehr verdross, völlig gleichgültig ließ. Und es erfüllte ihn mit Entsetzen, an den Grund seiner Gleichgültigkeit zu denken.
Die anderen Herren sahen, wie er litt, und schlugen vor, das Spiel abzubrechen, wenn er ermüdet sei; er solle eine Weile ausruhen. Ausruhen? Nein, er sei nicht im Geringsten müde, versicherte er und spielte den Robber bis zu Ende mit. Alle waren in düstere Stimmung geraten und schweigsam geworden. Iwan Iljitsch fühlte, dass er sie in diese trübselige Stimmung versetzt hatte, war jedoch außerstande, sie zu zerstreuen. Dann wurde zu Abend gegessen, die Gäste brachen auf, und Iwan Iljitsch blieb allein zurück mit der bitteren Erkenntnis, dass sein Leben vergiftet war, dass er das Leben anderer vergiftete und dass sich die Wirkung dieses Giftes nicht abschwächte, sondern mehr und mehr seinen ganzen Körper durchdrang.
In diesem Bewusstsein, gepaart mit körperlichen Schmerzen und der Verzweiflung über seinen Zustand, ging Iwan Iljitsch zu Bett und konnte oft bis zum Morgengrauen vor Schmerzen nicht einschlafen. Und am Morgen musste er wieder aufstehen, sich ankleiden, aufs Gericht fahren, reden und schreiben oder, wenn er zu Hause blieb, auch dort wieder vierundzwanzig Stunden unter den gleichen Qualen zubringen. Und so, schon am Rande
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