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Die schönsten Erzählungen (Die schönsten Erzählungen / Geschichten) (German Edition)

Die schönsten Erzählungen (Die schönsten Erzählungen / Geschichten) (German Edition)

Titel: Die schönsten Erzählungen (Die schönsten Erzählungen / Geschichten) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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sich eine Besserung bemerkbar gemacht, dachte er, hat die Medizin zu wirken begonnen, und da muss nun dieses verdammte Missgeschick, diese Unannehmlichkeit kommen! Er war wütend über sein Missgeschick und über die Leute, die ihm Unannehmlichkeiten bereiteten und ihn damit umbrachten, und er war außerstande, seine Wut zu unterdrücken.
    Man sollte meinen, er hätte sich darüber im Klaren sein müssen, dass eine solche ständige Gereiztheit seinen Zustand verschlimmerte und dass er daher hätte bemüht sein müssen, über belanglose unangenehme Zwischenfälle hinwegzusehen; doch er verhielt sich genau umgekehrt: Er sagte, er brauche Ruhe, achtete peinlich auf alles, was seine Ruhe stören konnte, und geriet aus den geringfügigsten Anlässen in Erregung. Außerdem verschlechterte sich sein Zustand noch dadurch, dass er medizinische Bücher las und dauernd Ärzte zu Rate zog. Es ging stetig bergab, doch wenn er seinen Zustand von einem Tage zum andern verglich, konnte er sich darüber hinwegtäuschen: Es war kein großer Unterschied zu merken. Konsultierte er hingegen Ärzte und hörte sich deren Meinungen an, dann hatte er den Eindruck, es gehe mit ihm bergab, und zwar sehr schnell.
    In diesem Monat suchte er noch eine andere Kapazität auf. Diese Kapazität sagte fast genau das Gleiche, was der andere berühmte Arzt gesagt hatte, stellte aber auf andere Weise die Fragen, und durch die Konsultation dieser Kapazität wurde die Ratlosigkeit und Angst Iwan Iljitschs nur noch verstärkt. Der Freund eines seiner Kollegen, der im Ruf stand, ein besonders tüchtiger Arzt zu sein, stellte eine ganz andere Diagnose, und wenn er Iwan Iljitsch auch seine völlige Wiederherstellung verhieß, so brachte er ihn doch durch seine Fragen und Mutmaßungen noch mehr in Verwirrung. Ein Homöopath kam noch zu einem anderen Befund und verordnete ein Medikament, das Iwan Iljitsch nun schon seit einer Woche heimlich einnahm. Als er aber nach Ablauf einer Woche keine Erleichterung verspürte, verlor er das Zutrauen zu diesem wie auch zu allen bislang schon geschluckten Medikamenten und ließ vollends den Kopf hängen. Einmal erzählte eine mit der Familie bekannte Dame von einem Kranken, der Genesung durch ein wundertätiges Heiligenbild gefunden haben sollte. Iwan Iljitsch hörte aufmerksam zu und ertappte sich dabei, dass er eine solche Möglichkeit wirklich ernsthaft in Betracht zog. Doch dann erschrak er über sich selbst. Bin ich denn schon so schwachsinnig geworden, an solchen Blödsinn zu glauben?, dachte er. Aber man darf nicht wankelmütig werden, sondern muss sich einem bestimmten Arzt anvertrauen und konsequent alles befolgen, was er verordnet. Das will ich auch tun und nicht mehr von einem zum andern laufen. Ich werde nicht mehr grübeln und bis zum Sommer streng alle Vorschriften des Arztes ausführen. Dann wird man weitersehen. Dieses Hin- und Her-Schwanken muss aufhören!
    Das war leicht gesagt, erwies sich indessen als unmöglich. Der Schmerz an der einen Seite quälte ihn beharrlich, schien sich zu verstärken und wurde zum Dauerzustand; der eigentümliche Geschmack im Munde wurde penetranter, und sein Atem nahm, wie es ihm schien, einen widerwärtigen Geruch an; sein Appetit ließ zusehends nach, er kam immer mehr herunter. Jetzt gab es für Iwan Iljitsch keine Selbsttäuschung mehr: In seinem Innern vollzog sich etwas Schreckliches, etwas Neues und so Bedeutsames, wie er es noch nie erlebt hatte. Und nur er selbst wusste davon, während die Leute in seiner Umgebung es nicht merkten oder nicht merken wollten und der Meinung waren, alles gehe in der Welt seinen üblichen Gang. Das war für Iwan Iljitsch besonders schmerzlich. Er sah, dass seine Angehörigen, namentlich die Frau und die Tochter, die gerade jetzt, auf der Höhe der Saison, fast täglich zu Bällen und anderen Vergnügungen eingeladen waren, seinen Zustand nicht erkannten und sich nur ärgerten, weil er – als sei es bei ihm bloß Launenhaftigkeit – immer so mürrisch und anspruchsvoll war, und obgleich sie das zu verbergen suchten, entging es ihm doch nicht, dass sie ihn als Störenfried betrachteten. Im Übrigen hatte sich seine Frau hinsichtlich seiner Krankheit eine bestimmte Einstellung zu eigen gemacht, die sie hartnäckig beibehielt, was immer er auch tun und sagen mochte. Diese Einstellung zeigte sich zum Beispiel, wenn sie mit Bekannten über seinen Zustand sprach.
    »Wissen Sie«, sagte sie dann, »Iwan Iljitsch bringt es nicht fertig, sich

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