Die schönsten Erzählungen (Die schönsten Erzählungen / Geschichten) (German Edition)
– und sie konnte von dieser Vorstellung nicht mehr loskommen.
»Ihm ist ja nicht zu helfen! Er nimmt die Medizin nie zur vorgeschriebenen Zeit ein, und vor allem liegt er dauernd in einer Stellung, die ihm sicherlich schädlich ist – mit den Füßen nach oben.«
Und sie erzählte, wie er Gerassim veranlasse, ihm die Beine hochzuhalten.
Der Arzt lächelte nachsichtig, und seine Miene besagte: Nun, lassen wir ihm doch seine Grillen! Die Kranken kommen zuweilen auf die albernsten Einfälle, das ist verzeihlich.
Als die Untersuchung beendet war, warf der Arzt einen Blick auf die Uhr, und Praskowja Fjodorowna eröffnete ihrem Mann, sie habe für heute den berühmten Arzt ins Haus gebeten; er werde ihn gemeinsam mit Michail Danilowitsch – so hieß der gewöhnliche Arzt – gründlich untersuchen und mit diesem eine Konsultation abhalten.
»Mache nun bitte keine Einwände mehr. Ich tue dies um meiner selbst willen«, sagte sie ironisch, gab jedoch durch ihren Ton zu verstehen, dass sie alles nur Mögliche für ihn tue und er sich daher nicht sträuben dürfe. Iwan Iljitsch sagte nichts und machte ein finsteres Gesicht. Das ihn umgebende Lügengewebe war schon so verworren, dass er sich darin nicht mehr zurechtfinden konnte.
Alles, was Praskowja Fjodorowna für ihren Mann unternahm, tat sie in ihrem eigenen Interesse; aber wenn sie zu ihm sagte, sie tue es nur für sich selbst, stellte sie das als eine so außergewöhnliche Selbstlosigkeit dar, daß sie ihm nicht glaubwürdig erscheinen konnte.
Um halb zwölf kam dann auch wirklich der berühmte Arzt. Wiederum wurde Iwan Iljitschs Körper beklopft und abgetastet, wiederum tauschten die Ärzte in seinem Beisein oder im Nebenzimmer vielsagende Bemerkungen über die Niere und den Blinddarm aus, und die reale Frage nach Leben und Tod – die einzige, die für ihn noch von Wichtigkeit war – wurde abermals von der Frage nach dem Zustand der Niere und des Blinddarms verdrängt, die nicht so funktionierten, wie sie sollten, und über die sich Michail Danilowitsch und die Kapazität jetzt hermachen wollten, um sie in Ordnung zu bringen.
Der berühmte Arzt verabschiedete sich mit ernstem, doch nicht ganz entmutigendem Gesichtsausdruck. Und auf die zaghafte Frage Iwan Iljitschs, der seine vor Angst und Hoffnung glühenden Augen auf ihn richtete, ob er noch Aussicht habe zu genesen, antwortete er, man könne für nichts garantieren, aber immerhin bestehe die Möglichkeit. Der von banger Hoffnung erfüllte Blick, mit dem Iwan Iljitsch dem Arzt nachschaute, war so ergreifend, dass Praskowja Fjodorowna sogar Tränen in die Augen traten, als sie aus dem Zimmer ging, um dem berühmten Arzt sein Honorar auszuhändigen.
Die gehobene Stimmung, in die Iwan Iljitsch durch die ermutigende Bemerkung des Arztes versetzt worden war, währte nicht lange. Wieder ödeten ihn ein und dieselben Zimmerwände und Tapeten, Fenstervorhänge, Bilder und Medizinfläschchen an, wieder krümmte er sich vor Schmerzen. Und Iwan Iljitsch begann zu stöhnen; man machte ihm eine Injektion, und er verlor allmählich das Bewusstsein.
Als er wieder zu sich kam, dämmerte es bereits; ihm wurde das Mittagessen gebracht. Er aß widerstrebend die Bouillon; und abermals war alles das Gleiche, abermals stand ihm die anbrechende Nacht bevor.
Nach dem Mittagessen, um sieben Uhr, kam Praskowja Fjodorowna zu ihm ins Zimmer – in großer Abendtoilette, den üppigen Busen fest eingeschnürt, und mit Puderspuren auf dem Gesicht. Schon morgens hatte sie ihn daran erinnert, dass für den Abend ein Theaterbesuch vorgesehen war. Sarah Bernhardt war zu einem Gastspiel in die Stadt gekommen, und auf sein eigenes Drängen hin hatte man eine Loge bekommen. Inzwischen hatte er es jedoch vergessen, und ihre festliche Aufmachung reizte ihn. Doch er unterdrückte seinen Ärger, als ihm nun einfiel, dass er selbst darauf bestanden hatte, man sollte eine Loge nehmen und die Vorstellung besuchen, weil diese für die Kinder ein ästhetischer Genuss und zugleich von erzieherischer Bedeutung sein würde.
Praskowja Fjodorowna trat mit selbstgefälliger, doch ein wenig schuldbewusster Miene ein. Sie setzte sich, fragte nach seinem Befinden – was sie freilich, wie er deutlich merkte, nur tat, um Interesse zu zeigen, und nicht in der Erwartung, etwas Neues zu erfahren, denn sie wusste sehr gut, dass es nichts Neues gab – und brachte dann vor, was sie eigentlich sagen wollte: dass sie um keinen Preis ins Theater fahren würde, wenn
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