Die schönsten Erzählungen
seinen Gang, durch zahlreiche Kartenwitze des Finkenbein und durch einen von demselben Finkenbein entdeckten und vereitelten Mogelversuch des Seilermeisters anregend unterbrochen. Aber da stach den Seiler der Hafer, daß er mitgeheimnisvollen Andeutungen immer wieder des Abenteuers im »Sternen« gedenken mußte. Hürlin überhörte es zuerst, dann winkte er ärgerlich ab. Da lachte der Seiler auf eine schadenfrohe Art dem Finkenbein zu. Hürlin blickte auf, sah das unangenehme Lachen und Blinzeln, und plötzlich wurde ihm klar, daß dieser an der Hinauswerferei schuld war und sich auf seine Kosten lustig mache. Das ging ihm durch und durch. Er verzog den Mund, warf mitten im Spiel seine Karten auf den Tisch und war nicht zum Weiterspielen zu bewegen. Heller merkte sofort, was los war, er hielt sich vorsichtig still und gab sich doppelt Mühe, auf einem recht brüderlichen Fuß mit Finkenbein zu bleiben.
Es war also zwischen den beiden alten Gegnern wieder alles verschüttet, und desto schlimmer, weil Hürlin überzeugt war, Finkenbein habe um den Streich gewußt und ihn anstiften helfen. Dieser benahm sich unverändert lustig und kameradschaftlich, da aber Hürlin ihn nun einmal beargwöhnte und seine Späße und Titulaturen wie Kommerzienrat, Herr von Hürlin und so weiter ruppig aufnahm, zerfiel in Bälde die Sonnenbrüderschaft in zwei Parteien. Denn der Fabrikant hatte sich als Schlafkamerad schnell an den blöden Holdria gewöhnt und ihn zu seinem Freund gemacht.
Von Zeit zu Zeit brachte Finkenbein, der aus irgendwelchen verborgenen Quellen her immer wieder ein bißchen kleines Geld im Sack hatte, wieder einen gemeinsamen Kneipengang in Vorschlag. Aber Hürlin, so gewaltig die Verlockung für ihn war, hielt sich stramm und ging niemals mehr mit, obwohl es ihn empörte zu denken, daß Heller desto besser dabei wegkomme. Statt dessen hockte er beim Holdria, der ihm mit verklärtem Lächeln oder mit ängstlich großen Augen zuhörte, wenn er klagte und schimpfte oder darüber phantasierte, was er tun würde, wenn ihm jemand tausend Mark liehe.
Lukas Heller dagegen hielt es klüglich mit dem Finkenbein. Freilich hatte er gleich im Anfang die neue Freundschaft in Gefahr gebracht. Er war des Nachts einmal nach seiner Gewohnheit über den Kleidern seines Schlafkameraden gewesen und hatte dreißig Pfennige darin gefunden und an sich gebracht. Der Beraubte aber, der nicht schlief, sah ruhig durch halbgeschlossene Lider zu. Am Morgen gratulierte er dem Seiler zu seinerFingerfertigkeit, forderte ihm das Geld wieder ab und tat, als wäre es nur ein guter Scherz gewesen. Damit hatte er vollends Macht über Heller gewonnen, und wenn dieser an ihm einen guten Kameraden hatte, konnte er ihm doch nicht so unverwehrt seine Klagelieder vorsingen wie Hürlin dem seinigen. Namentlich seine Reden über die Weiber wurden dem Finkenbein bald langweilig.
»’S ist gut, sag ich, Seilersmann, ’s ist gut. Du bist auch so eine Drehorgel mit einer ewigen Leier, hast keine Reservewalze. Was die Weiber angeht, hast du meinetwegen recht. Aber was zuviel ist, ist zuviel. Mußt dir eine Reservewalze anschaffen – mal was anderes, weißt du, sonst kannst du mir gestohlen werden.«
Vor solchen Erklärungen war der Fabrikant sicher. Und das war zwar bequem, aber es tat ihm nicht gut. Je geduldiger sein Zuhörer war, desto tiefer wühlte er in seinem Elend. Noch ein paarmal steckte ihn die souveräne Lustigkeit des Taugenichts Finkenbein für eine halbe Stunde an, daß er nochmals die großartigen Handbewegungen und Kennworte seiner goldenen Zeit hervorlangte und übte, aber seine Hände waren doch allmählich ziemlich steif geworden, und es kam ihm nimmer von innen heraus. In den letzten sonnigen Herbsttagen saß er zuweilen noch unter den welkenden Apfelbäumen, aber er schaute auf Stadt und Tal nicht mehr mit Neid oder mit Verlangen, sondern fremd, wie wenn all dieses ihn nichts mehr anginge oder ihm fernläge. Es ging ihn auch nichts mehr an, denn er war sichtlich am Abrüsten und hatte hinter sich nichts mehr zu suchen.
Das war merkwürdig schnell über ihn gekommen. Zwar war er schon bald nach seinem Sturze, in den dürftigen Zeiten, da die »Sonne« ihm vertraut zu werden begann, grau geworden und hatte angefangen, die Beweglichkeit zu verlieren. Aber er hätte sich noch jahrelang herumschlagen und manches Mal das große Wort am Wirtstisch oder auf der Gasse führen können. Es war nur der Spittel, der ihm in die Knie geschlagen
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