Die schönsten Sagen Österreichs (German Edition)
Stein abtrug – der Leichnam des Meisters wurde nicht gefunden.
Andere wissen wiederum, dass sich hier ein Streit zwischen dem Meister Pilgram und seinem Gehilfen abspielte. Meister Pilgram hatte den ersten, den großen Turm erbaut und war sehr stolz auf seine Arbeit und pflegte gerne zu sagen, dass kein anderer so eine Leistung hervorbringen könnte. Das ärgerte seinen Gehilfen und Lehrbuben dermaßen, dass er die Wette einging, einen ebenso schönen Turm zu bauen. Der Meister nahm die Wette an und der junge Bursch begann eifrig sein Werk. Die anderen Arbeiter der Baustelle verfolgten diesen Wettstreit natürlich gespannt, und irgendwann sprach es sich sogar unter der Bevölkerung herum, dass hier ein Schüler gegen seinen Meister antrat. Der Meister konnte sich aber wenig daran freuen, dass so ein Talent aus seiner Schule hervorging, er war vielmehr neidisch und eifersüchtig, denn er musste sich selber eingestehen, dass die Arbeit seines Gehilfen noch prächtiger war als die seine. Jetzt legte der Meister seinem Schüler eine Falle und lockerte ein Brett auf dem hohen Baugerüst des Konkurrenten; und als der junge Bursch am nächsten Morgen gutgelaunt in die Höhe kletterte, da trat er auf das gelöste Brett und stürzte in den Tod.
Dieses Ereignis soll in der Figurengruppe am Portal des Riesentores abgebildet sein, in der zwei Männer zu sehen sind. Der eine steigt auf das gebeugte Knie des anderen und stellt sich so über ihn.
Der Rattenfänger von Korneuburg
In der alten Handelsstadt Korneuburg wurden zahlreiche Märkte abgehalten. Die vielen dort gelagerten Lebensmittel zogen natürlich nicht nur Käufer, sondern auch Schmarotzer an, wie man das Ungeziefer und vor allem die Ratten nennen könnte. Hinzu kamen die damaligen sanitären Verhältnisse, denn sämtlicher Unrat der Stadt wurde einfach auf die Straße geschmissen und von Zeit zu Zeit mit Wasser aus der Stadt gespült. Zwischen diesen Abfällen und den prallen Säcken in den Lebensmittellagern und Kornkammern machten die Ratten keinen Unterschied. Wenn es trockene Sommer gab, nahm die Rattenplage zu, denn da gab es auf dem Land nichts mehr für sie zu holen. In dieser Zeit hofften die Stadtbewohner dann ganz besonders auf die befreienden Sommergewitter, nicht nur deshalb, weil der ersehnte Regen einfach herrlich war, er überflutete auch die Nester der Ratten und löschte damit den Nachwuchs aus.
Als es wieder einmal besonders schlimm mit der Rattenplage war, wussten auch die leitenden Herren der Stadt nicht mehr ein und aus. Die ekelhaften Nager waren einfach überall, in jedem Haus, und wurden immer frecher, weil sie ihre Angst vor den Menschen verloren. Ja, bald war es fast so weit, dass sie den Essenden am Tisch über die Schulter schauten und sich mit ihren „Wirten“ ins gleiche Bett legten. Die Plage war so arg, dass eine hohe Summe als Belohnung ausgesetzt wurde, die derjenige erhalten sollte, der die Stadt von den Ratten befreite. Tatsächlich dauerte es nicht lange, bis ein Fremder kam und das Angebot machte, die Ratten zu vertreiben. Die Bürger waren zuerst skeptisch, denn er führte keine Werkzeuge wie Fackeln oder Fangeisen mit sich, mit denen man vielleicht der Plage Herr werden könnte. Stattdessen nahm der Unbekannte eine kleine Flöte aus seiner Jackentasche und spielte darauf ein kaum hörbares Lied. Und es war wie ein Wunder, die Ratten schienen die Melodien zu hören, kamen aus allen Winkeln, Kellern und Lagern und folgten dem Musikanten nach. Dieser ging, ständig dieselbe Melodie wiederholend, rund um den Hauptplatz und verließ die Stadt über das Schifftor hinab zur Donau. Dort stieg er, soweit es seine hohen Stiefel erlaubten, in das Wasser und alle Ratten folgten ihm ohne Scheu, wobei sie in den kalten Donaufluten jämmerlich ertranken. Die Bürger Korneuburgs ließen sich das Schauspiel natürlich nicht entgehen und beobachteten diesen seltsamen Zug der Tiere.
Nachdem der Fremde stundenlang auf seiner Flöte gespielt hatte und sich nicht eine Ratte mehr in Korneuburg befand, schritt der Rattenfänger stolz in das Rathaus und verlangte den vereinbarten Lohn. Die Stadtväter waren in der Zwischenzeit zu dem Entschluss gekommen, dass man einfaches Flötenspielen, das jedes Kind gern zum Zeitvertreib tat, wohl kaum als Arbeit bezeichnen könnte. Die Summe war ihnen viel zu hoch, gemessen an seiner Leistung, und entgegen ihrer Abmachung gaben sie ihm nur ein Trinkgeld, wie man es einem armen Straßenspieler in seine
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