Die schoensten Weihnachtsgeschichten
über den Fuß, und es war so kalt, und die Wege waren so lang, und oft gab es keine Feuerung im Haus. Die Mutter fühlte die Blicke des Kindes stets auf ihren Füßen, es tat ihr fast leid, daß sie der Großen die Geschichte von den Baberbeinchen erzählt hatte. Sie begriff, daß sich das Kind mit all der Ausschließlichkeit, die Kinder besitzen, auf die Sache gestürzt hatte, daß sie aus der überlegenen Mutti ganz zu einer bemitleidenswürdigen Baberbeinchen-Mutti geworden war.
Das Kind redete kaum, aber sein Blick war so dunkel vom Grübeln geworden. Nicht nur über den ungetreuen Schuster grübelte es, sondern es sah auch immer den andern Leuten auf die Füße, und kam ein schöner, heiler, fast neuer Schuh gegangen, so warf es einen forschenden Blick auf das Gesicht der Trägerin. Da aber kein Gesicht ihm so schön und gut wie das der Mutti erschien, so wares kein Wunder, daß es nicht nur mit der Trägerin des Schuhs, sondern mit der ganzen Welt haderte, die schlecht eingerichtet war, weil solch eine Mutti immer eiskalte, nasse Füße hatte, und andere, die wie nichts aussahen, hatten viel.
Ja, wieso hatten sie überhaupt so wenig? Die Mutti tat nie einem was und arbeitete immer, und die andern, die gingen spazieren, und ihnen wurde noch und noch gegeben. Zu früh, viel zu früh, dachte die Mutti und konnte doch nichts ändern.
Ach, wie gerne hätte sie es jetzt vermieden, hinauszugehen auf die Straße, schon wenn sie nur zu den Schuhen griff, lag der stille, nichts mehr fragende Blick ihres Kindes auf ihr. Aber sie mußte ja hinaus, Arbeit fortbringen, Lebensmittel einholen, immer wieder Baberbeinchen-Mutti werden, jeden Tag zweimal.
Wie schrecklich, dachte die Mutti, wenn ein Kind aufwächst und weiß schon, es ist weniger als die andern. So denkt es sich doch meine Große zurecht. Ich habe gewußt, es gab größere Bauern als den Vater im Dorf, aber darum waren wir nicht weniger. – Sie denkt, wir sind weniger!
So gingen die Tage. Gottlob, es waren auch Tage darunter, da die Füße trocken blieben, Tage mit einem leichten Frost. Und unter ihnen war der Tag – er neigte sich schon in den Abend –, da es sachte gegen ihre Tür klopfte, gegen die Tür im Hinterhof der völlig verlassenen Ruine – das war der Tag vor Weihnachten. Im Dämmern stand da ein Mann, und da ihr Herz stark zu klopfen anfing, immer stärker, und es sie würgte in derKehle, fragte der Mann: »Ist das hier richtig bei Frau Irmler?«
Sie konnte nicht sprechen, sondern eine Hand auf dem Herzen, eine als Stütze am Türrahmen, nahe dem Umsinken, verharrte sie schweigend.
Leise fragte er: »Bist du das, Trude? Ich bin wieder da …«
Lange sah die Große auf den Mann mit dem blassen, unrasierten Gesicht, mit den riesengroßen Augen. Sie wußte, es war der lang ersehnte Vater, der heimgekehrte, sie hatte zu ihm »Papa« zu sagen, er war der Held von Hunderten von Muttis Geschichten. Aber sie erinnerte sich kaum noch, anderthalb Jahre, die er fortgewesen war, bedeuteten ein Viertel ihres ganzen Lebens. Dann gingen ihre Augen zu seinen Schuhen, er hatte noch ganz erträgliche Stiefel, sie wußte sogar, daß die Soldaten so was Knobelbecher nennen. Worauf ihr Blick den Kleiderhaken streifte, wo der etwas lumpige Mantel hing und die Mütze. Baberbeinchen-Mutti …, dachte sie wieder einmal.
Eine Viertelstunde später erst merkte die Mutter, daß ihre Große verschwunden war aus der Küche, vom Hof. Draußen war es doch schon ganz dunkel. Sie war sehr in Unruhe, so etwas hatte ihre Große doch noch nie getan! Überhaupt war das Kind in letzter Zeit so verändert, man konnte nicht genug auf es achten. Wohin sollte es überhaupt gegangen sein? Hier im Haus wohnte niemand, und sie hatten doch nichts mehr an Freunden und Verwandten! Suchen ja, aber wo? Trotzdem mußte man sie suchen, bei den Kaufleuten, aufeiner Stelle, wo sie heute früh noch Holz gefunden hatten – überall.
Die Eltern zogen sich an. Er stand zweifelnd vor dem Kleiderhaken.
»Nun, wo fehlt es noch? Wir wollen schnell los. Ich bin so unruhig!«
»Ich dachte doch, ich hätte meinen Koppelriemen hierher gehängt«, meinte er zweifelnd.
»Koppelriemen?« überlegte sie. »Was war doch mit einem Koppelriemen?« Dann fiel es ihr ein. »Ich glaube, ich weiß jetzt, wo die Große ist«, sagte sie, plötzlich ganz ruhig geworden, zu ihrem Mann. »Ich will sie dir zeigen …«
Es paßte gut, daß man von der Straße in die Schusterwerkstatt hineinsehen konnte, und da stand
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