Die Schokoladendiät
Mr. Sexy – ist derzeit verschollen. Und zwar in Australien. Was die Sache nicht einfacher macht. Wäre er zum Beispiel hier in Belsize Park verschollen, könnte ich in regelmäßigen Abständen bei ihm vorbeifahren und an seine Tür hämmern, bis ich herausgefunden hätte, was eigentlich los ist. So aber kann ich nichts tun. Meine glühenden E-Mails an ihn bleiben unbeantwortet. Meine ruhigen, aber besorgten Anrufe landen auf dem Anrufbeantworter, und wenn ich sehen kann, dass Aiden online ist, bekomme ich niemals eine Antwort. Der Grund ist mir vollkommen schleierhaft. Wir hatten lange transkontinentale Ferngespräche mit Webcams, die sogar manchmal beschlugen, so eifrig waren wir bei der Sache. Ein Hoch auf die moderne Technologie! Und dann nichts mehr. Kein Piep.
«Ich verstehe das einfach nicht», sage ich. «Das sieht ihm so gar nicht ähnlich.»
Chantal schnaubt laut. Und zwar auf die Art, die bedeutet: «Männer, was kannst du da anderes erwarten?»
«Doch, wirklich», beharre ich. «Er ist nicht wie andere Männer.»
Andere Männer
, sprich, er ist nicht wie Marcus, mein beknackter Ex-Verlobter, von dem ich mich jüngst getrennt habe, weil er wohl der untreueste Mann auf Erden sein dürfte. Bill Clinton, Tom Jones und Darren Day mit eingerechnet.
Meine amerikanische Freundin mit dem perfekt gestylten Haar und dem überquellenden Bankkonto schnaubt schon wieder. Ich beiße mir auf die Zunge und sage nichts. Auch wenn Chantal eine meiner allerbesten Freundinnen ist, ist das Verhältnis zwischen uns zur Zeit ein wenig angespannt. Das liegt daran, dass sie etwas mit meinem Ex-Freund hatte – nicht mit Marcus, sondern mit einem anderen, wesentlichnetteren Mann namens Jacob. Ich mache wirklich sehr verwirrende Zeiten durch. Mein Liebesleben ist das emotionale Äquivalent einer Massenkarambolage auf der Autobahn. Zerknautschte Blechberge, Sirenengeheul, Verkehrszusammenbruch, Verwüstung und Verwundete, wo man nur hinschaut. Entschuldigung, aber ich brauche jetzt sofort Schokoladennachschub, damit ich nicht an Ort und Stelle zusammenbreche.
Also, während die Schokolade langsam ihre Wirkung tut, erzähle ich Ihnen mal, was los war. Jacob und ich hatten einen kurzen, heftigen und für beide Seiten befriedigenden Flirt, auch wenn wir aufgrund äußerst unglückseliger Umstände nie miteinander im Bett waren. Im Gegensatz zu Marcus war er ein wirklich reizender junger Mann. Allerdings verlor diese Beziehung doch ziemlich an Glanz, als ich entdeckte, wie er seinen Lebensunterhalt verdient. Jacob erzählte mir, er arbeite in der Freizeitindustrie, was streng genommen keine Lüge war. Denn es stellte sich irgendwann heraus, dass er ein Callboy war. Warum stoße ich nur immer viel zu spät auf die verborgenen Abgründe der Männer in meinem Leben? Meine Freundin Chantal wusste dagegen über Jacobs Erwerbszweig durchaus Bescheid. Und so gesehen hatte sie nicht wirklich etwas mit ihm, sie hat ihn einfach nur stundenweise gemietet. Dass sie mit Jacob geschlafen hatte, wenn auch nur in seiner Eigenschaft als Callboy – während ich nicht einmal einen Zipfel seiner Unterwäsche zu sehen bekommen hatte –, war für mich einigermaßen schwer zu verdauen. Dann hatte ich wieder etwas mit Marcus angefangen, ein Riesenfehler, mit dem ich einen Schlussstrich unter eine lange Reihe von Riesenfehlern zog. Marcus bewies mir endgültig, dass er niemals aufhören würde, hinter anderen Frauen her zu sein, und ich werdeihm nie wieder irgendwelche gegenteiligen Beteuerungen abkaufen. Dieser Abschnitt meines Lebens ist ein für alle Mal vorbei. Die Trümmer sind beiseitegeräumt, und auf der Autobahn meines Lebens fließt der Verkehr wieder ohne Stocken. Ich bin emotional gereift und einen Schritt weitergekommen. Glücklicherweise habe ich jetzt einen neuen Freund, meinen ehemaligen Chef, Aiden Holby, genannt Mr. Sexy. Nur dass er derzeit verschwunden ist. Aber vielleicht ist ihm ja auf der Autobahn seines Lebens einfach nur so ein verdammter Verkehrskegel in den Weg geraten.
«Aiden wird schon wieder auftauchen», sagt Autumn so überzeugt, als wäre von einem Paar verschlampter Hausschuhe die Rede. Sie zwirbelt eine ihrer verrückten roten Locken um den Finger und sieht mich ernst an. Wie gerne wäre ich wie Autumn, deren Glas immer halb voll ist, und niemals halb leer. Meins dagegen ist meist nicht mal halb leer, sondern beinhaltet nur einen winzigen, abgestandenen Rest ganz unten am Boden. «Es gibt bestimmt eine
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