Die Schokoladendiät
Vergnügen, bis tief in den Juni hinein Schulden abzustottern, nur damit mein damals Herzallerliebster mit einem Aston Martin DB9 über eine Rennstrecke rasen, die Freuden des Drachenfliegens kennenlernen oder mit einem Glas Champagner in der Hand in einem Heißluftballon treiben kann. Aber er hat mir immer so wunderbare Weihnachtsgeschenke gemacht, dass ich dasGefühl hatte, da mithalten oder sogar konkurrieren zu müssen. Wenn er mir einen Tag in einem berühmten Wellness-Resort oder eine Riesenpackung Belgische Pralinen schenkte, konnte ich ihm schließlich nicht einfach irgendeine Greatest-Hits-CD und ein billiges Rasierwasser auf den Gabentisch legen, oder? Mr. Sexy ist da ein wesentlich nüchternerer Typ und wird sicher mit kleineren Zeichen meiner Liebe zufrieden sein. Ein weiterer Grund, froh zu sein, dass ich Marcus los bin.
Ich lasse mich auf mein Sofa plumpsen und mache den obersten Hosenknopf auf, um meinem Bauch Platz zu verschaffen. Selbstbeherrschung ist in dieser Jahreszeit kein leichtes Spiel; die Versuchung durch all die Weihnachtspackungen von Quality Street und Terry’s Chocolate Orange ist mehr, als man einem einzigen Menschen zumuten sollte. Und dann diese meterlangen Schachteln voll Cadbury’s Chocolate Fingers, die man schon höflichkeitshalber essen
muss
, weil sich irgendein Witzbold im Büro das Vergnügen gegönnt hat, sie einem zu schenken? Und isst man einen von den Dingern, braucht man gleich noch einen weiteren, stimmt’s? Ich wette, mit meinem Chocolate-Fingers-Konsum könnte ich es ins Guinness-Buch der Rekorde bringen. Allein schon das Training wäre eine Wonne. Plötzlich kommt mir die Zukunft schon rosiger vor. Ja, vielleicht ist Weihnachten ja doch nicht so verkehrt.
Aus irgendeinem Grund habe ich mir Mühe gegeben,mein schäbiges Wohnzimmer ein bisschen aufzupeppen. Vielleicht weil ich doch insgeheim einen Weihnachtsbesuch von Mr. Sexy erhofft hatte. Auf dem Camden Market habe ich einen echten Baum erstanden – kein allzu großer Aufwand, da der Markt direkt gegenüber meiner Wohnung liegt und der Verkäufer ihn mir in einem Anfall vorweihnachtlicher Gutmütigkeit sogar bis nach Hause geschleppt hat. Allerdings hat mich das beinahe zwanzig Pfund gekostet. Und ein ordentliches Trinkgeld obendrauf. Jetzt ist der Baum mit einer Lichterkette in Form kleiner Chilischoten geschmückt, die festlich und etwas einschläfernd vor sich hinblinken. Ich habe eine Blautanne erworben, die angeblich ewig hält, aber schon jetzt wird der Nadelteppich auf dem Boden immer dichter. Wenn das so weitergeht, ist der Baum bis zum zweiten Weihnachtstag nur noch ein Gerippe. Vielleicht hat der Typ mich ja übers Ohr gehauen. Kein Wunder, dass er es so eilig hatte, das Ding loszuwerden. So viel zum Thema vorweihnachtliche Gutmütigkeit.
Ich schaue den blinkenden Lämpchen noch eine Weile zu und gerate allmählich in Trance. Bevor mir die Augen gänzlich zufallen, beschließe ich, noch einmal bei Mr. Sexy anzurufen.
Hier ist es später Nachmittag, was heißt, dass es in Mr. Sexys Welt jetzt gerade – na, ich weiß nicht wie viel Uhr ist, jedenfalls eine absolut nachtschlafende Zeit. Aber es ist sowieso unmöglich, irgendeine Uhrzeit zu finden, zu der nicht einer von uns beiden entweder schläft oder im Büro ist. Australien ist ganz sicher ein wunderschönes Land; ich wünschte nur, es läge ein bisschen näher. Zum Beispiel unmittelbar hinter Irland, dann könnte ich mit easyJet hinfliegen – und käme dabei immer noch günstiger weg als mit diesem nadelnden Tannenbaum.
Was wir wohl gemeinsam anstellen, sollte Mr. Sexy es schaffen, über die Feiertage herzukommen? Ich sehe uns bei langen Spaziergängen durch den Hampstead-Heath-Park, beide in primärfarbene Wollpullis gehüllt, am besten die von Gap. Oder ich sehe uns vor dem offenen Kamin sitzen und Marshmallows rösten, obwohl ich gar keinen offenen Kamin besitze und Marshmallows normalerweise als minderwertigen Naschkram verschmähe, weil sie keine Schokolade enthalten. Und ich sehe uns unter dem nadelnden Tannenbaum und der blinkenden Chilischoten-Lichterkette so allerlei anderes Festliches treiben.
Ich gehe kurz ins Bad, um mir nochmal schnell durchs Haar zu bürsten. Sehen wir den Tatsachen ins Gesicht: Die Webcam zeigt einen meist nicht gerade im günstigsten Licht, und ich möchte zwar nicht so aussehen, als hätte ich mir enorm viel Mühe gegeben, aber auch nicht zu schlampig daherkommen. Eine echte Gratwanderung also
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