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Die Schopenhauer-Kur

Die Schopenhauer-Kur

Titel: Die Schopenhauer-Kur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irvin D. Yalom
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hatte, Sie anzurufen, um eine Supervision zu vereinbaren, es aber immer wieder aufgeschoben habe, hauptsächlich aus finanziellen Gründen. Ich war also verblüfft von dem bemerkenswerten Zufall Ihres Anrufs. Was die Bedingungen
betrifft, so schlage ich vor, dass wir uns einmal wöchentlich treffen und die Stunde aufteilen: In der Hälfte der Zeit beraten Sie mich hinsichtlich meiner Patienten, und in der zweiten Hälfte diene ich Ihnen als Schopenhauer-Führer.«
    Julius schloss die Augen und verfiel in Gedanken.
    Philip wartete zwei, drei Minuten, dann fragte er: »Was sagen Sie zu meinem Angebot? Ich bin zwar sicher, dass keine Studenten auftauchen werden, aber ich habe nach der Vorlesung Sprechstunde in meinem Büro und muss deshalb zurück ins Verwaltungsgebäude.«
    »Na ja, Philip, es ist kein alltägliches Angebot. Ich brauche Zeit, um darüber nachzudenken. Treffen wir uns doch im Lauf der Woche. Ich habe mittwochnachmittags frei. Schaffen Sie es um vier?«
    Philip nickte. »Ich bin mittwochs um drei fertig. Treffen wir uns in meiner Praxis?«
    »Nein, Philip. In meiner Praxis. Sie ist in meinem Haus in der Pacific Avenue 249, nicht weit von meiner ehemaligen Praxis. Hier, meine Karte.«
     
    Auszüge aus Julius’ Tagebuch
    Nach seiner Vorlesung verblüffte Philip mich mit seinem Vorschlag, Supervision gegen Unterricht einzutauschen. Wie schnell man wieder in das vertraute Kraftfeld eines anderen Menschen gerät! Ganz ähnlich wie in Träumen, in denen einen die unheimliche Vertrautheit der Landschaft daran erinnert, dass man denselben Schauplatz schon aus anderen Träumen kennt. Dasselbe bei Marihuana – ein paar Züge, und plötzlich ist man an einem vertrauten Ort und hat vertraute Gedanken, die nur im Marihuana-Rausch existieren.
    Und bei Philip ist es genauso. Nur kurze Zeit in seiner Gegenwart, und – simsalabim! – meine ältesten Erinnerungen an ihn plus ein besonderer, durch Philip bewirkter Geisteszustand sind im Nu wieder da. Wie arrogant, wie geringschätzig er ist. Wie gleichgültig gegen andere. Und trotzdem ist da etwas,
etwas Starkes, das mich zu ihm hinzieht. Was mag es wohl sein? Seine Intelligenz? Seine Überheblichkeit und Weltfremdheit, die sich zu solch außergewöhnlicher Naivität verbinden? Und wie unverändert er nach zwanzig Jahren ist. Nein, das stimmt nicht! Er ist von seiner sexuellen Zwanghaftigkeit befreit, nicht mehr dazu verdammt, ständig hinter Mösen herzuschnüffeln. Er lebt viel mehr an den erhabeneren Orten, die er sich immer ersehnt hat. Aber seine manipulierende Art – die hat er nach wie vor an sich, sie ist sehr offenkundig, und er ist sich ihrer Sichtbarkeit überhaupt nicht bewusst, wenn er meint, ich würde Freudensprünge über sein Angebot machen, ihm für seinen Schopenhauer-Unterricht zweihundert Stunden von meiner Zeit zu schenken, und es unverschämter Weise so präsentiert, als hätte ich es vorgeschlagen, als wollte und bräuchte ich es. Kann nicht leugnen, dass ich ein wenig Interesse an Schopenhauer habe, doch zweihundert Stunden mit Philip zu verbringen, um Schopenhauer kennen zu lernen, steht momentan ganz unten auf meinem Wunschzettel. Und falls die Passage, die er über den sterbenden Buddenbrook vorlas, ein wichtiges Beispiel für das sein soll, was Schopenhauer mir zu bieten hat, so lässt es mich kalt. Die Vorstellung, mich mit der universellen Einheit zu verbinden ohne mein Fortbestehen und das meiner Erinnerungen und meines einzigartigen Bewusstseins, ist ein sehr schwacher Trost. Nein, sie ist gar kein Trost.
    Und was zieht Philip zu mir? Das ist eine weitere Frage. Der Seitenhieb neulich über die zwanzigtausend Dollar, die er für die Therapie bei mir verschwendete – vielleicht ist er ja immer noch auf Erträge aus seiner Investition aus.
    Philip supervisieren? Einen rechtmäßigen, koscheren Therapeuten aus ihm machen? Das ist ein Dilemma. Will ich ihn unterstützen? Will ich ihm meinen Segen geben, obwohl ich nicht glaube, dass ein Hasser (und er ist ein Hasser) jemandem helfen kann zu wachsen?

»(Religion) hat ja alles auf ihrer Seite: Offenbarungen,
Urkunden, Wunder, Prophezeiungen, Schutz (seitens) der
Regierung, den höchsten Rang . . . und, was mehr als alles
ist, das unschätzbare Vorrecht, ihre Lehren dem zarten
Kindesalter einprägen zu dürfen, wodurch sie fast zu
angeborenen Ideen werden.« Ref 11
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Idyllische Tage der frühen Kindheit
    Johanna schrieb in ihr Tagebuch, nach Arthurs Geburt im Februar 1788 habe sie wie

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