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Die Schopenhauer-Kur

Die Schopenhauer-Kur

Titel: Die Schopenhauer-Kur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irvin D. Yalom
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verwenden.«
    »Ziemlich hart. War ich wirklich so grob?«
    »Ob grob oder nicht, ist irrelevant. Wichtig sind Effektivität und Wirkungsdauer Ihrer Äußerung. Ich habe sie mir erst später, vielleicht zehn Jahre danach, zu Nutze gemacht.«
    »Zeitlich verschobene Interventionen! Ich hatte immer eine Ahnung, dass sie bedeutungsvoller sind, als man gemeinhin annimmt. Wollte immer eine Studie darüber machen. Aber für
unser heutiges Anliegen möchte ich nur wissen, warum Sie bei unserem letzten Treffen zögerten, sie zu erwähnen, anzuerkennen, dass ich Ihnen, und sei es nur in geringen Maße, irgendwie doch geholfen habe.«
    »Julius, ich weiß nicht, ob mir die Relevanz dessen für unsere heutige Frage klar ist – ob Sie nämlich bereit sind, mein Supervisor zu sein. Und mir erlauben, Sie dafür über Schopenhauer zu belehren.«
    »Die Tatsache, dass Sie die Relevanz nicht erkennen, macht es umso relevanter. Philip, ich werde nicht diplomatisch sein. Hier meine ehrliche Meinung: Ich bin mir nicht sicher, ob Sie grundsätzlich geeignet sind, Therapeut zu sein, daher zweifle ich daran, dass eine Supervision sinnvoll ist.«
    »Nicht ›geeignet‹, sagen Sie? Deutlicher, bitte«, sagte Philip ohne eine Spur von Verdruss.
    »Nun, lassen Sie es mich so formulieren: Ich habe in der Therapie immer eher eine Berufung als einen Beruf gesehen, eine Beschäftigung für Menschen, die sich um andere sorgen. Bei Ihnen erkenne ich nicht genügend Fürsorglichkeit. Ein guter Therapeut will Leiden lindern, will Menschen helfen zu wachsen. Bei Ihnen sehe ich aber nur Verachtung für andere – man bedenke nur, wie Sie Ihre Studenten abtaten und beleidigten. Therapeuten müssen sich für ihre Patienten interessieren; Sie dagegen kümmert es wenig, was andere empfinden. Nehmen Sie uns beide. Sie sagen, Sie hätten auf Grund meines Anrufs vermutet, dass ich eine tödliche Krankheit habe. Trotzdem haben Sie kein Wort des Trostes oder Mitgefühls geäußert.«
    »Hätte das denn geholfen – ein paar nichts sagende, mitleidige Worte zu murmeln? Ich habe Ihnen mehr gegeben, viel mehr. Ich habe eine ganze Vorlesung für Sie ausgearbeitet und gehalten.«
    »Das ist mir jetzt auch klar. Aber es passierte alles so verdeckt, Philip. Es gab mir das Gefühl, manipuliert statt positiv angenommen zu werden. Für mich wäre es besser gewesen, viel besser, wenn Sie direkt gewesen wären, wenn Sie mir eine
von Herzen kommende Botschaft geschickt hätten. Nichts Großartiges, vielleicht bloß eine simple Frage nach meiner Situation oder seelischen Verfassung, oder, mein Gott, Sie hätten einfach sagen können: ›Es tut mir Leid, dass Sie sterben müssen.‹ Wie schwer wäre das wohl gewesen?«
    »Wenn ich krank wäre, würde ich das nicht wollen. Ich würde mir die Instrumente wünschen, die Ideen, die Ausblicke, die Schopenhauer angesichts des Todes bietet – und die habe ich Ihnen geliefert.«
    »Sogar jetzt noch, Philip, machen Sie sich nicht die Mühe zu überprüfen, ob ich eine tödliche Krankheit habe.«
    »Irre ich mich denn?«
    »Kommen Sie, Philip. Sprechen Sie es aus – es wird nicht wehtun.«
    »Sie sagten, Sie hätten erhebliche gesundheitliche Probleme. Können Sie mir mehr darüber erzählen?«
    »Guter Anfang, Philip. Ein Kommentar mit offenem Ausgang ist bei weitem die beste Wahl.« Julius hielt inne, um seine Gedanken zu sammeln und zu überlegen, wie viel er Philip offenbaren sollte. »Also, ich habe vor kurzem erfahren, dass ich eine Form von Hautkrebs habe, die malignes Melanom heißt und mein Leben ernsthaft bedroht, obwohl meine Ärzte mir versichern, dass ich das nächste Jahr bei guter Gesundheit verbringen werde.«
    »Das gibt mir noch stärker das Gefühl«, erwiderte Philip, »dass die Sichtweise von Schopenhauer, die ich Ihnen in meiner Vorlesung darlegte, wertvoll für Sie ist. Ich erinnere mich, dass Sie in unserer Therapie einmal sagten, das Leben sei ein ›vorübergehender Zustand mit dauerhafter Auflösung‹ – das ist Schopenhauer pur.«
    »Philip, das war im Scherz gemeint.«
    »Nun, wir wissen doch, was Ihr eigener Guru Sigmund Freud über das Scherzen zu sagen pflegte, oder? Ich bleibe dabei: Schopenhauers Weisheiten enthalten viel, das Ihnen von Nutzen sein kann.«

    »Noch bin ich nicht Ihr Supervisor, Philip, das muss erst entschieden werden, aber ich erteile Ihnen die Psychotherapielektion Nummer eins gratis. Es sind weder Ideen noch Sichtweisen oder Instrumente, die in der Therapie wirklich

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