Die Schrift in Flammen
hinteren Sitz saß einer der Alvinczy-Jungen. Neben ihm zwei der Comtessen Laczók, Anna und Ida. Er erkannte die beiden Frauen zu spät, erst als sie bereits vorüber waren. Natürlich, die sind ja schon große Mädel! Als er sie zuletzt in Klausenburg gesehen hatte, waren sie erst Backfische mit Zöpfen. Wie die Zeit vergeht. Gewiss eilen sie vom Rennen heimwärts, sie sind ja in Vársiklód die Gastgeberfräulein, da gehört es sich, zu Hause zu sein, bevor die Gästeschar eintrifft.
Von den Leuten drüben blickte niemand zu ihm herüber; wer kümmert sich schon um einen, der in einer Mietkutsche reist?
Auf dem Bock des zweiten Wagens saß Farkas, der ältere Alvinczy-Junge, und neben ihm das dritte Laczók-Mädchen, Liszka. Und wie das Gefährt vorbeihuschte, erkannte Bálint auf dem Hintersitz neben dem livrierten Kutscher László Gyerőffy, seinen Cousin.
Er rief ihn an, und jener rief etwas zurück, er winkte ihm auch, doch auch dieser Wagen raste hastig weiter. Die beiden Gespanne trugen offenkundig einen Wettkampf aus, und sie verfolgten einander umso wilder, als es doch galt, vor den Mädchen die Tüchtigkeit des Mannes – die Virtus – zu zeigen: Fahr ihm vor! Bleib vor ihm! Lass ihn nicht passieren! Die Herrenkutscher legten sich bei der Hetze ins Zeug, als ginge es um Leben und Tod.
Bálint freute sich sehr, dass auch László in Siklód mit dabei sein würde. Wie gut, ihn wiederzutreffen! László war sein einziger Freund aus Kinderzeiten. Auch das Theresianum hatten sie gemeinsam besucht. In den ersten zwei Jahren an der Klausenburger Universität waren sie auch immer zusammen, bevor Gyerőffy nach Budapest zog. Seither sahen sie einander seltener, manchmal in Ungarn bei einer der Tanten László Gyerőffys, bei Rebhuhn- oder Fasanenjagden und einige Male zufällig auch in Siebenbürgen.
Doch ihre Freundschaft litt darunter nicht, denn die auf Zeiten der frühen Jugend zurückgehende Zuneigung schafft das stärkste Band.
Dieses Gefühl einte die beiden, viel enger als ihre – im Übrigen auch ziemlich nahe – Verwandtschaft, war doch die Großmutter László Gyerőffys eine Schwester des alten Péter Abády. Und es gab noch manch anderes, tief liegendes, unbewusstes, doch umso festeres Band. Dazu gehörte neben vielen Gemeinsamkeiten die Ähnlichkeit ihres Kinderschicksals. Auch László war Waise, noch viel mehr als er. Ihm, Bálint, war die Mutter erhalten geblieben, und er hatte ein echtes Zuhause, in dessen warme Atmosphäre er jeweils im Sommer zurückkehrte. László dagegen hatte seine Eltern, beide auf einmal, als Kleinkind verloren. Das war eine tragische Geschichte, über die man in der Familie ungern sprach. Seine Mutter, so hieß es, war nicht nur eine sehr schöne, sondern auch eine sehr begabte, künstlerisch beseelte Frau gewesen. Sie schuf ansprechende Bildhauerarbeiten und malte. László zählte kaum drei Jahre, als seine Mutter mit jemandem ausriss. Kurz darauf fand man den Vater tot im Wald. Sein eigenes Gewehr hatte ihn getötet. Die Verwandtschaft bestand auf der Behauptung, dass sich ein Unfall ereignet habe. Diese trübe, ungewisse Geschichte verlieh den Kinderjahren des kleinen, verlassenen László einen düsteren Hintergrund. Und er hatte fortan auch kein Zuhause mehr. Anfänglich nahm ihn die Großmutter auf, doch nach deren Tod einige Jahre später lebte er fortwährend in Instituten. Von dort nahmen ihn im Sommer jeweils seine Tanten zu sich, und bis zu seiner Volljährigkeit war er stets nur irgendwo Gast – manchmal in Siebenbürgen, zumeist aber jenseits der Donau, in Westungarn; abwechselnd weilte er bei der einen und der anderen Schwester seines Vaters, die in Budapest verheiratet waren, die ältere mit dem Fürsten Kollonich, die jüngere mit Graf Antal Szent-Györgyi.
Bálint lehnte sich hinaus und blickte dem sich entfernenden Gespann nach. Hinter der aufsteigenden Staubwolke sah er nur noch nebelhaft, wie László, der ihm bis zur Straßenbiegung unablässig winkte, zuletzt verschwand. Wie er sich da hinauslehnte und selber winkte, da schloss bereits ein neues Gespann knatternd zu ihm auf.
Eine Halbdachkutsche.
Zwei Männer saßen darin.
Rechts der alte Sándor Kendy.
In Siebenbürgen pflegte man diesen Kendy gleich mit zwei Kennworten zu bezeichnen. Ihn selber sprach man mit dem Titel »Woiwode« an, dies als Anspielung auf einen seiner berühmten Urahnen, zumal er, ebenso wie sein Vorfahre, ein höchst eigenwilliger, gewaltsamer großer Herr
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