Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Schrift in Flammen

Titel: Die Schrift in Flammen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Miklós Bánffy
Vom Netzwerk:
Erinnerungen.
    Die Beschwörung der Vergangenheit endete aber nicht hier. Sie verband Tante Lizinka mit seinem Großvater, den sie Jahr für Jahr mehrmals besucht hatte.
    Als sähe er die beiden noch jetzt vor sich. Sie sitzen beisammen auf der Veranda, die griechische Säulen schmücken. Lizinka ertrinkt wie immer unter Tüchern und Shawls in der Tiefe eines gepolsterten Fauteuils, sie zieht, mit rund gebogenem Leib zusammengekauert, die Knie hoch, wie ein stattlicher Hund. Péter Abády wiederum sitzt seiner Base gegenüber auf einem steifen Rohrstuhl mit hohem Rücken, in bequemer Ruhe, doch in stets gerader Haltung. Natürlich raucht er still, wie er das tagein, tagaus tut, und dabei benutzt er immer die gleiche, in ungarischer Manier geschnitzte Meerschaumpfeife. Die alte Frau erzählt irgendeine Klatschgeschichte, denn sie klatscht ständig. Der kleine Junge versteht zwar nichts von ihrem Gerede, so viel aber begreift er, dass der Großvater sie von Zeit zu Zeit in scherzhaftem Ton ermahnt: »Nun, Lizinka, so viel böses Zeug kann ich doch nicht glauben, selbst die Hälfte wäre schon zu viel!« Und dabei lacht er ein wenig spöttisch, während die alte Frau Sarmasághy sich weiterhin entsetzt gibt und fortfährt zu schwören, jawohl, so sei es, wie sie sage, sie wisse Bescheid. Doch der alte Herr schüttelt bloß lächelnd den Kopf, denn Lizinka berichtet zwar gewiss von schlimmen Dingen, sie weiß sie freilich höchst amüsant zu schildern.
    Dies geschah in Dénestornya. Der alte Péter Abády lebte auch dort; doch er wohnte nicht oben im befestigten Schloss, sondern weiter unten am Hang im großväterlichen Herrenhaus, das Bálints Urgroßvater väterlicherseits am Ende des 18. Jahrhunderts gebaut hatte. Das große Schloss sowie drei Viertel des Gutsbesitzes gehörten der Mutter. Die Heirat von Bálints Eltern galt deshalb als ein gewichtiges Familienereignis, weil auch die Mutter eine Abády war, sodass die uralten Güter, die unter mehreren Generationen anfänglich in vier und später immer noch in zwei Teile zerfallen waren, jetzt erneut vereinigt wurden. Diese Heirat brachte das Gut von Dénestornya und den alten Waldbesitz im Hochgebirge am Oberlauf des Szamos wieder zusammen.
    Der alte Péter übergab das ihm gehörende Gut seinem Sohn. Er behielt nur das Herrenhaus und dessen Garten für sich, und dann, als sein einziges Kind, Tamás, jäh verstarb, da dachte er gar nicht daran, sein Eigentum zurückzunehmen und sich damit im Alter von neuem herumzuschlagen. Er beließ es vielmehr unter der Aufsicht seiner verwitweten Schwiegertochter.
    Er zog auch hernach nicht um, hinauf ins Schloss, obwohl die Frau des verstorbenen Tamás Abády ihn, damals wie später, immer wieder darum bat und ihm ein wenig sogar zürnte, weil der Schwiegervater auf sie nicht hören wollte.
    Der alte Herr war weise. Bálint begriff erst jetzt mit erwachsenem Verstand, wie weise er auch hierin gehandelt hatte. Bei der warmherzigen, aber stets unruhigen Natur der Mutter wäre ihr gutes Verhältnis unter dem gleichen Dach kaum erhalten geblieben.
    Die zu Lebzeiten des verstorbenen Sohns entstandene Ordnung blieb dann bestehen. Der alte Herr aß jeden Mittwoch oben im Schloss bei ihnen zu Mittag, während sie jeden Sonntag zum Mittagessen im Herrenhaus des Großvaters geladen waren.
    Der Junge indessen, kaum war er ein wenig größer geworden, besuchte den Großvater auch zu anderen Zeiten. Manchmal tat er das sogar, indem er vor den Erziehern ausriss. Die Flucht fiel ihm leicht. Der ausgedehnte Schlosspark war am Fuße des Hügels vom Garten des Herrenhauses nur durch den Hof der reformierten Kirche getrennt. Da standen zwei weder besonders hohe noch allzu wohlerhaltene Mauern. Und selbst sie bereiteten Vergnügen, denn sie dienten dem Indianerspiel. Er konnte leise wegschleichen, mit lautlosen Fußtritten wie »Lederstrumpf«, und die schwindelerregend hohe Bastei erklettern, welche die stellenweise kaum anderthalb Meter hohe Mauer des Kirchhofs in seiner von Cooper-Erzählungen erfüllten Phantasie darstellte.
    Der alte Herr nahm sehr wohl wahr, wie schmutzig und von Mörtel bedeckt er hin und wieder ankam, fragte aber nie, auf welchem Weg er herübergekommen war. Er mischte sich nur ein, wenn der Bub sich an seiner Kleidung einen Riss geholt hatte. Diesen – damit nichts Schlimmeres geschehen sollte – ließ er, bevor er ihn wieder zurückschickte, schnell durch seine Köchin flicken. Und er befahl dem Diener, die beiden stets

Weitere Kostenlose Bücher