Die Schriften von Accra (German Edition)
würde.
Eine junge Frau, die mit viel Liebe ihr Festgewand selbst entworfen und genäht hat, erscheint zum Fest und erntet nur Blicke, die besagen: Du bist zwar weder hübscher noch hässlicher als die anderen jungen Frauen, und auch dein Kleid ist weder hübscher noch hässlicher als die abertausend Roben, die gerade auf einem der abertausend Feste überall auf der Welt getragen werden – in großen Schlössern wie in kleinen Dörfern, wo jederjeden kennt und jede das Kleid der anderen kommentiert –, nur das der jungen Frau nicht.
Die nun denkt, dass damit die ganze Arbeit umsonst war.
Die jungen Leute, die sehen, dass die Welt vor großen Problemen steht, träumen davon, sie zu lösen, doch niemand ist an ihrer Meinung interessiert. ›Wie wollt ihr die Probleme lösen, wenn ihr die Welt doch noch gar nicht kennt?‹, werden sie abgefertigt. ›Hört auf die Älteren, sie wissen besser, was zu tun ist.‹
Und die alten, reifen Leute, die auf die harte Tour ihre Erfahrungen im Leben gemacht haben und sie gerne an die Jüngeren weiterreichen würden, stellen fest, dass diese nicht daran interessiert sind. ›Die Welt hat sich verändert‹, werden sie abgefertigt. ›Man muss mit der Zeit gehen und auf die Jüngeren hören.‹
Der mangelnde Respekt macht weder vor Jungen noch vor Alten halt, und das Gefühl, nicht gebraucht zu werden, zersetzt die Seele, indem es unablässig wiederholt: ›Niemand interessiert sich für dich, die Welt braucht dich nicht.‹
Im verzweifelten Versuch, ihrem Leben einen Sinn zu geben, wenden sich viele der Religion zu, denn sie finden sich durch einen Kampf gerechtfertigt, der im Namen des Glaubens geführt wird undder für etwas Großes steht, das die Welt verändern kann. ›Wir arbeiten für Gott‹, sagen sie sich.
Zuerst werden sie fromm. Dann werden sie zu Wanderpredigern. Und schließlich zu Fanatikern.
Sie begreifen nicht, dass Religionen ursprünglich dazu dienten, die Mysterien und die Anbetung der göttlichen Kraft in der Gemeinschaft zu feiern – niemals aber dazu, andere zu unterdrücken oder gar zu bekehren.
Die höchste Manifestation des Wunders Gottes ist das Leben.
Heute Nacht werde ich um dich weinen, Jerusalem, denn dieses Verständnis der göttlichen Einheit wird für tausend Jahre verschwinden.
Frag die Blume auf dem Feld: ›Wie kannst du dich nützlich fühlen, wenn du nichts anderes tust, als immer gleiche Blüten hervorzubringen?‹
Und sie wird antworten: ›Ich bin schön, und die Schönheit an sich rechtfertigt mein Dasein.‹
Frag einen Fluss: ›Fühlst du dich nützlich, schließlich fließt du immer in dieselbe Richtung?‹
Und er wird antworten: ›Ich versuche nicht, nützlich zu sein, ich versuche, ein Fluss zu sein.‹
Nichts und niemand auf dieser Welt ist in den Augen Gottes überflüssig. Weder das Blatt, das vom Baum, noch das Haar, das vom Kopf fällt, noch einInsekt, das getötet wird, weil es störte. Alles hat seine Daseinsberechtigung.
Und auch du nicht, der du mir diese Frage gestellt hast. ›Ich bin nutzlos, ich werde nicht gebraucht‹ sind Antworten, die du dir selber gibst.
Sie wirken wie Gift, und bald wirst du dich wie ein wandelnder Toter fühlen, auch wenn du weiterhin herumgehst, isst, schläfst und dich, so gut es geht, amüsierst.
Versuche nicht, nützlich zu sein! Sei nur du selbst! Das allein zählt.
Geh weder schneller noch langsamer als deine Seele. Denn sie ist es, die dich lehrt, wozu jeder Schritt gut ist. Manchmal kann man durch die Teilnahme an einem großen Kampf dazu beitragen, den Lauf der Geschichte zu verändern. Manchmal aber genügt dazu ein Lächeln, das du einem Wildfremden schenkst, der dir auf der Straße begegnet.
Ohne dass du es wolltest, hast du ihm dadurch möglicherweise das Leben gerettet, weil auch er sich nutzlos und nicht gebraucht fühlte und vielleicht kurz davorstand, sich das Leben zu nehmen … bis dein Lächeln ihm wieder Hoffnung und Zuversicht gab.
Auch wenn du Rückschau hältst und dein Leben noch einmal Tag für Tag vor deinem inneren AugeRevue passieren lässt mit allen Momenten, in denen du in der Sonne geschwitzt, gelitten und gelächelt hast, wirst du doch niemals genau wissen, wann und weswegen du für andere nützlich warst.
Ein Leben ist nie nutzlos oder überflüssig. Jede Seele, die auf die Erde herabgekommen ist, hat ihre Daseinsberechtigung.
Menschen, die anderen wirklich helfen, versuchen nicht, nützlich zu sein, sondern ein interessantes Leben zu
Weitere Kostenlose Bücher