Die Schuld des Anderen
kein Mensch war auf der Landungsbrücke zu sehen.«
»Und dann?«
»Heute morgen«, fuhr Jackson fort, »erhielten wir einen Brief aus Boulogne - vor drei Tagen aufgegeben und unterschrieben von Comstock Bell und seiner Frau. In dem Schreiben protestieren sie dagegen, daß sich das ›Post Journal‹ immer noch mit ihren Privatangelegenheiten beschäftigt. Hier ist der Brief.«
Er reichte ihn Helder, der sich aber nicht die Mühe machte, ihn genauer anzusehen.
»Ich glaube, ich verstehe die Sache jetzt«, sagte er. »Nun, Bell selbst hat Ihr Reporter wohl nicht gesehen?«
»Nein. Wir müssen fast annehmen, daß die Dame ertrunken ist«, erwiderte Jackson. »Es war eine ziemlich stürmische Nacht. Unser Reporter ließ die Landungsbrücke nicht aus den Augen, und sie konnte auf keinem ändern Weg zurückkommen.«
Helder erhob sich.
»Würden Sie mir einen Gefallen tun?« fragte er.
»Wenn es möglich ist - gern.«
»Vor einigen Wochen«, begann Helder, »wurde ein Russe verhaftet, der sich verdächtig gemacht hatte…«
»Ja, ich erinnere mich an den Fall«, bestätigte Jackson. »Soviel ich weiß, wurde er zu drei Monaten Gefängnis verurteilt und soll ausgewiesen werden.«
»Ganz richtig«, fuhr Helder fort. »Und dieser Mann könnte vielleicht zur Aufklärung der Angelegenheit beitragen. Ich muß ihn unbedingt sprechen. Glauben Sie, daß es Ihnen möglich ist, mir bei den Behörden eine Besuchserlaubnis zu verschaffen?«
Jackson kniff die Lippen zusammen.
»Ich zweifle daran, werde es aber immerhin versuchen. Sobald der Chefredakteur kommt, wollen wir beraten, was sich tun läßt.«
Helder verabschiedete sich und kehrte in seine Wohnung in der Curzon Street zurück. Gold war nicht in London, wie er durch einen Telefonanruf feststellte.
»Um so besser«, sagte Helder zu sich selbst. »Wenn man mich in Ruhe läßt, könnte noch alles gut werden.«
Er ging in sein Schlafzimmer, um sich einige Stunden auszuruhen.
Um fünf Uhr nachmittags wurde er von seinem Diener geweckt, der ein Telegramm brachte. Es kam von der Redaktion und lautete:
›Unterredung mit Russen genehmigt. Der Mann sitzt im Chelmsford-Gefängnis. Kommen Sie wegen des Erlaubnisscheins in unser Büro.‹
Jackson war bei Helders Ankunft nicht mehr da. Dafür empfing ihn der Stellvertreter des Chefredakteurs und überreichte ihm die für den Besuch des Gefangenen notwendigen Papiere.
»Es würde mich wirklich interessieren, weshalb Sie den Mann aufsuchen wollen«, erkundigte sich der Redakteur noch. »Bringen Sie Comstock Bell etwa mit diesen Banknotenfälschungen in Verbindung?«
Helder nickte vielsagend.
»Genau das tue ich.«
Er erzählte kurz die Geschichte vom ›Klub der Verbrecher‹, und in welcher Beziehung Comstock Bell zu den Leuten gestanden hatte.
»Hm«, machte der Redakteur, als Helder zu Ende war. »Ich habe auch schon so etwas gehört, aber das alles sind doch recht vage Vermutungen. Sie behaupten also, daß Willetts von Bell angezeigt wurde?«
»Das behaupte ich nicht, das weiß ich ganz bestimmt«, sagte Helder. »Bell hat Willetts angezeigt, um sich besser aus der Affäre ziehen zu können. «
»Und wie erklären Sie sich sein plötzliches Verschwinden?«
Helder zögerte. Er war sich noch nicht ganz klar darüber, wie er Bell im einzelnen anschwärzen und beschuldigen konnte.
»Ich kann im Augenblick nichts Genaues sagen. Meiner Ansicht nach hat er dieses Mädchen nur geheiratet, um gleich nach der Hochzeit zu zweit untertauchen zu können und eben dadurch die Aufmerksamkeit in eine andere Richtung zu lenken. Ich glaube, daß er zur Zeit einen letzten, verzweifelten Versuch macht…«
»Entschuldigen Sie«, rief der Redakteur, »wenn ich Sie hier unterbreche! Sie wissen doch ganz genau, daß Comstock Bell ein außerordentlich reicher Mann ist. Durch die Erbschaft hat sich sein Vermögen jetzt noch beträchtlich vermehrt.«
Helder sah ihn erstaunt an.
»Ja, natürlich - letzte Woche starb doch seine Mutter. Haben Sie die Notiz in den Zeitungen nicht gelesen? Sie setzte ihn zum alleinigen Erben ein. Er muß jetzt mehrfacher Millionär sein - und in einem solchen Fall wären Banknotenfälschungen eine ziemlich abwegige Nebenbeschäftigung. Es fehlt ja jedes Motiv!«
»Nun, auf den ersten Blick fehlt auch jedes Motiv für diese ungewöhnliche Heirat«, erwiderte Helder schnell.
»Für Heiraten finden sich immer Gründe«, sagte der Redakteur kurz angebunden. »Wirklich, Mr. Helder, es gibt keinen einzigen
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