Die Schuld des Anderen
vernünftigen Grund, warum sich Comstock Bell mit Banknotenfälschungen hätte beschäftigen sollen.« Er lächelte und gab Helder die Hand. »Aber trotzdem - vielleicht kann Ihnen Ihr Russe etwas Neues erzählen. Berichten Sie uns darüber - und auf Wiedersehen !«
Am nächsten Morgen fuhr Helder mit dem ersten Zug nach Chelmsford. Um neun Uhr wurde er in das düstere Gebäude eingelassen und ins Zimmer des Direktors geführt.
Colonel Speyer, ein älterer Mann mit grauem Bart, empfing ihn sehr liebenswürdig.
»Sie wollen mit dem Russen sprechen?« fragte er. »Ich hätte nichts dagegen, wenn wir ihn wieder los wären. Kein Mensch hier spricht russisch, und wir haben die größten Schwierigkeiten, uns mit ihm zu verständigen. Also gut, kommen Sie, ich bringe Sie zum Besuchszimmer. Übrigens - sprechen Sie eigentlich russisch?«
Helder nickte, und der Direktor sah ihn etwas argwöhnisch an.
»Dann müßte ich eigentlich jemanden mitschicken, der die Sprache auch versteht«, sagte er und sah sich den Erlaubnisschein des Ministeriums noch einmal an. »Na ja -ich hoffe, daß ich Ihnen trauen kann.«
Sie hatten inzwischen einen einfachen, fast leeren Raum erreicht, in dem ein langer Tisch aus Fichtenholz und einige Stühle standen. Nach einigen Minuten wurde der Russe hereingeführt. Er trug die übliche gestreifte Gefängnistracht und zwinkerte vergnügt mit den Augen, als er sich plötzlich seinem früheren Chef gegenübersah.
Der Sträfling saß am einen Ende des Tisches, und Helder bot man einen Stuhl am anderen Ende an. Zwischen ihnen, an jeder Längsseite, saßen zwei Gefängniswärter, die sich offensichtlich bei der ihnen unverständlichen Unterhaltung langweilten; Helder beobachtete, wie der eine eifrig las, während der andere etwas in sein Notizbuch kritzelte.
Das Gespräch mit dem Russen dauerte nicht lange. Helder gab ihm nachdrücklich zu verstehen, daß er unter allen Umständen schweigen müsse, und versprach ihm eine hohe Summe bei seiner Entlassung, wenn er den Mund halte. Der Russe war damit völlig einverstanden. Er hätte auch ohne dieses Gespräch nichts gesagt, und als sich Helder von ihm verabschiedete, war er wenigstens in dieser Hinsicht völlig beruhigt.
Der Direktor wartete draußen auf dem Gang auf ihn und fragte ihn, ob er das Gefängnis besichtigen wolle.
»Sehr gern - für Gefängnisse habe ich mich immer schon interessiert!«
Er folgte dem Direktor bis zur großen Halle, wo sich die Zellen in Stockwerken bis zum Glasdach hinauf erstreckten. Die vergitterten Galerien gaben dem Ganzen das Aussehen eines Bienenkorbs.
Der Direktor zeigte ihm auch das Innere einer Zelle.
Helder äußerte den Wunsch, für zwei Minuten darin eingeschlossen zu werden - er wollte unbedingt einmal erleben, wie man sich allein da drinnen fühlte. Aber er sah ein wenig bleich aus und war sichtlich erleichtert, als die Tür wieder geöffnet wurde.
»Die Häftlinge müssen natürlich auch genügend Bewegung haben«, bemerkte der Direktor und führte ihn auf den mit hohen Mauern umgebenen Hof.
Eine Gruppe von Gefangenen machte gerade ihren täglichen Rundgang. Innerhalb dreier mit weißer Farbe markierter Kreise gingen sie immer rundherum. Helder beobachtete sie interessiert. Es waren alte und junge Leute -einige sahen ihn neugierig an, andere wandten ihre Gesichter ärgerlich ab. Ein Gefangener, schlanker und größer als die anderen, fiel Helder besonders auf - etwas an seinem Gang kam ihm bekannt vor, und er mußte einen Aufschrei unterdrücken, als er sein Gesicht sah.
Es war Comstock Bell.
»Was haben Sie?« fragte der Direktor erstaunt.
»Wer ist das - dieser Mann dort?«
»Ein gewisser Willetts - er hat Banknoten gefälscht.«
Helder kehrte nach London zurück. In seinem Kopf wirbelten die Gedanken durcheinander. Jetzt wurde ihm manches klar. Waren Bell und Willetts ein und dieselbe Person? Möglicherweise lebte Willetts gar nicht mehr, Bell hatte aus irgendeinem Grund seinen Namen angenommen und führte ein Doppelleben. Unter dem falschen Namen hatte er sich festnehmen lassen und hoffte nun, daß niemand hinter sein Geheimnis kommen würde.
Willetts war zu zwölf Monaten Gefängnis verurteilt worden, mußte aber vermutlich nur einen Teil davon absitzen. Es war Helder jetzt klar, daß Comstock Bell die größte Gefahr für ihn bedeutete.
Er rief Tiger Brown telegrafisch in die Curzon Street und erklärte ihm kurz die Situation.
»Jetzt wissen wir also, warum Comstock Bell heiratete und
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