Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Schuld einer Mutter

Die Schuld einer Mutter

Titel: Die Schuld einer Mutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paula Daly
Vom Netzwerk:
trete ein. Im Raum drängen sich die Menschen. Zuerst kann ich Kates Gesicht nirgendwo erkennen, denn sie sitzt auf dem Sofa. Die Sicht auf sie wird mir durch ein paar Bauern aus dem Umland verstellt, die dabei sind zu klären, wo sie mit der Suche anfangen sollen. Aber ich weiß, sie ist hier irgendwo in diesem Zimmer. Ich erstarre und kann mich nicht mehr bewegen, komme keinen Schritt weiter.
    Kates Schwester Alexa steht nur wenige Meter entfernt von mir, und als sie mich entdeckt, verspannen sich ihre Kiefermuskeln. Ihr Ehemann Adam ist bei ihr; für einen Moment sieht es so aus, als wollte er auf mich zugehen. Aber dann merke ich, dass er das nicht darf. Peinlich berührt schaut er zur Seite.
    Die zwei Bauern, die vor Kate stehen, treten beiseite, und dann sehe ich sie.
    Sie wirft mir einen Blick zu und sinkt in sich zusammen. So als hätte man sie entbeint. Als hätte man sie zerlegt und ohne Knochen wieder zusammengesetzt. Vor lauter Tränen bringt sie kein Wort heraus.
    Ich knie vor ihr nieder und ergreife ihre Hände. Ihre Finger sind eiskalt. »Kate, es tut mir so leid …«, sage ich. »Es tut mir so leid, dass ich dir das angetan habe. Es tut mir so leid, dass ich das zugelassen habe.«
    Sie nickt und weint, denn sie weiß Bescheid. Sie weiß, dass ich kein schlechter Mensch bin. Sie weiß, dass ich nicht nachlässig und gedankenlos und gleichgültig bin.
    Und sie weiß, dass ich, egal wie sehr ich mich auch bemühe, niemals die Mutter sein werde, die sie ist.
    Ich halte ihre Hände und spüre ein Zittern, das aus ihrem tiefsten Innern kommt und sich bis in ihre Fingerspitzen fortsetzt. Ich habe das Gefühl, einen winzigen Vogel zwischen den Händen zu halten, und instinktiv möchte ich den Kopf beugen und ihre Hände an meine Lippen drücken.
    Ich hatte so eine Angst davor, sie könnte mich in aller Öffentlichkeit beschuldigen. So eine Angst vor ihrer Reaktion. Aber jetzt merke ich, dass sie selbst viel zu geschockt und verzweifelt ist, um mir eine Szene zu machen. Sie schafft es ja kaum, aufrecht zu sitzen.
    »Was kann ich für dich tun, Kate?«, frage ich. »Sag mir, was ich für dich tun kann. Irgendwas muss ich doch tun.«
    Ich höre Schritte hinter mir. »Meinst du nicht, du hättest schon genug getan?«
    Alexa.
    Ich schließe kurz die Augen, denn ich weiß, was jetzt kommt.
    Kate will etwas sagen. »Alexa … nicht.«
    »Nicht was? Ich soll nicht sagen, was alle denken?«
    »Mach es nicht noch schlimmer, als es schon ist.« Kate zieht ihre Hände aus meinen.
    »Es kann nicht noch schlimmer werden. Wie sollte es noch schlimmer sein?«
    Alle im Raum sind verstummt. Wo vorher gedämpftes Gemurmel herrschte, wo Pläne geschmiedet und die beste Vorgehensweise debattiert wurde, ist jetzt nichts mehr zu hören.
    Ich komme aus der Hocke, richte mich auf und drehe mich zu Alexa um. Ihr ganzer Körper ist steif vor Wut. Sie hält beide Hände krampfhaft in die Seiten gestemmt, so als hätte sie selbst Angst, jeden Moment auf mich loszugehen. An ihrer Stirn tritt eine dick geschwollene, senkrechte Ader hervor.
    Ich kann nicht davonlaufen. Ich muss das jetzt durchstehen. Fast habe ich mich nach diesem Augenblick gesehnt. Ich möchte meine gerechte Strafe entgegennehmen, ansonsten werden die Vorwürfe, die ich mir für den Rest meines Lebens machen werde, mich erdrücken.
    Ich sehe in Alexas stahlgraue Augen und sage so fest wie möglich: »Es ist tatsächlich meine Schuld. Du hast alles Recht der Welt, mich anzuschreien. Mir die Schuld zu geben. Ich habe deinen Ärger verdient.«
    Sie schlägt mir ins Gesicht, mit aller Kraft.
    Ich torkele rückwärts.
    »Du blöde Schlampe! Du blöde, blöde Schlampe!«, kreischt sie. »Du glaubst wohl, alles wäre wieder in Ordnung, bloß weil du hier auftauchst und die Schuld auf dich nimmst?«
    »Nein«, sage ich und berühre meine schmerzende, brennende Wange, »nein, so war das nicht gemeint.«
    »Kates Tochter ist verschwunden! Hast du das kapiert? Hast du verstanden, was du dieser Familie mit deiner Unfähigkeit angetan hast?«
    Ich weine. »Ja, ja, natürlich habe ich das. Aber ich weiß nicht, was ich sagen soll, ich weiß nicht, was ich tun soll. Ich kann es nicht wiedergutmachen, egal, was ich auch versuche, und …«
    Guy durchschreitet den Raum. Ich weiche zurück aus Angst vor der Attacke, die ich nun sicher auch von ihm zu erwarten habe.
    Wo ist Joe? Ich schaue mich schnell im Zimmer um, kann ihn aber nirgends entdecken. Ich brauche ihn. Wo steckt er

Weitere Kostenlose Bücher