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Die Schuld einer Mutter

Die Schuld einer Mutter

Titel: Die Schuld einer Mutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paula Daly
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hättest sie anrufen sollen, um ihr zu sagen, dass niemand bei uns übernachtet hat.«
    Ich kneife die Augen zusammen.
    »Aber meinst du denn nicht, Kate hätte von sich aus nachfragen können? Irgendwas in der Art?«, dränge ich. »Meinst du nicht, Kate trägt eine Mitschuld, weil sie sich weder gestern nach der Schule noch am Abend noch heute Morgen nach Lucinda erkundigt hat? Kein einziges Mal?«
    Joe verzieht keine Miene. »Nicht, wenn sie davon ausging, dass Lucinda bei dir ist. Nein, das finde ich nicht.«
    Mir fehlen die Worte. Denn noch während er mir seine Einschätzung der Lage darlegt, fällt mir wieder ein, dass Kate sich sehr wohl erkundigt hat. Oder doch nicht? Heute Morgen, als sie mich wegen Sam anrief. »Mit den Mädchen ist alles in Ordnung?«, hatte sie gefragt, und ich hatte bejaht.
    Joes Gesicht wird weicher, er schaut traurig. »Können wir jetzt los?«, fragt er, und ich nicke.
    Er fährt an. Er will nach rechts abbiegen und durch das Tal nach Hause fahren, aber kurz vor der Abzweigung verschaltet er sich, und das Auto macht einen Satz nach vorn. Der Motor stottert und säuft auf der Höhe des Postamts ab.
    »Du lieber Himmel, Joe«, rufe ich erschreckt. »Was zum Teufel ist denn los mit dir?«
    Den Rest der Fahrt legen wir schweigend zurück.
    Zu Hause krieche ich sofort ins Bett. Ich ziehe mir die Decke über den Kopf und die Knie an den Bauch und bleibe wie ein Fötus zusammengekrümmt liegen. Und dann erst holen mich die wirklich schlimmen Vorstellungen ein. In die frische Verzweiflung mischt sich der alte Selbsthass. Ein schlimmer Fehler aus meiner Vergangenheit holt mich wieder ein, den ich mir bis heute nicht verzeihen kann. Das Ganze ist jetzt vier Jahre her.

Die Sache ist die, denkt er, als er vor der dreieinhalb Millionen Pfund teuren Villa mit direktem Seezugang im Auto sitzt, eigentlich kommt es nur auf den Standpunkt an.
    In Spanien zum Beispiel beträgt das Mindestalter dreizehn Jahre. Nicht dass er seine Taten damit rechtfertigen wollte. Er findet es lediglich interessant, dass ein zivilisiertes, nicht weit von Großbritannien entferntes Land so anders an die Sache herangeht. Ebenso Japan. Auch dort liegt das Mindestalter bei dreizehn. Um diese Freizügigkeit in England zu finden, muss man weit in der Zeit zurückgehen – wie weit eigentlich? Etwa zweihundert Jahre, als Mädchen im Alter von zwölf Jahren ganz legal verheiratet werden durften.
    Nicht dass er daran interessiert wäre, eine Zwölfjährige zu heiraten. Das wäre ja absurd. Er will einfach nur deutlich machen, dass man es ihm damals, wenn er es denn wollte, gestattet hätte. Das ist alles.
    Er sieht auf seine Armbanduhr. Die Immobilienmaklerin ist sechs Minuten zu spät. Warum nur müssen alle so unfähig sein? Er trommelt mit den Fingern aufs Lenkrad, nur um es gleich darauf, wie es ihm in letzter Zeit zur Gewohnheit geworden ist, mit dem Jackenärmel abzuwischen.
    Um Zeit totzuschlagen, konzentriert er sich auf die schöne Aussicht und lächelt. Jenes Lächeln, das er wochenlang vor dem Spiegel geübt hat. Sein natürliches Lächeln ist ein bisschen zu kriecherisch und entblößt zu viele Zähne, deswegen hat er sich die Mühe gemacht, daran zu arbeiten. Außerdem übt er jenen treuherzigen Blick, auf den die Frauen stehen.
    Sobald man eine Frau anlächelt, als wäre sie etwas Besonderes, zerfließt sie auf der Stelle wie Wachs. Das ist kein großes Geheimnis.
    Unabsichtlich wandern seine Gedanken zurück zu jener Sache, die er nicht mehr aus dem Kopf bekommt, und das einstudierte Lächeln verzieht sich zu einem Grinsen. Er grinst wie ein Idiot, und er weiß, er muss damit aufhören, bevor die Maklerin kommt.
    Wer hätte gedacht, dass es so einfach ist?
    Zugegeben, es ist nicht ganz so gelaufen wie geplant, nicht zu hundert Prozent. Na und? War es nicht umso schöner? Der Überraschungsmoment – als das Unerwartete passierte, um das Ganze noch spannender zu machen?
    Flüchten sich so viele gelangweilte Städter nicht genau aus diesem Grund in den Extremsport? Haben übergewichtige Bankangestellte nicht genau deswegen Sex in der Abstellkammer? Natürlich.
    Nur dass das hier kein Extremsport ist. Das weiß er. Er kann nicht einfach so tun, als wäre er psychisch krank und wüsste nicht, was er da tut. Er weiß ganz genau, was er tut.
    Sein Lächeln verschwindet, als er sich das eingestehen muss, und nach einem weiteren Blick auf die Armbanduhr denkt er: Vielleicht reicht es für heute. Sie hatte Angst. Trotz der

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