Die Schuld
wussten, was ihre Kollegen verdienten. Buchführung mitsamt Gehaltsabrechnung hatte das neue Buchhaltungsbüro im dritten Stock übernommen.
Paulette und Jonah hatte Clay die gleiche vage Erklärung gegeben wie Rodney: Er sei auf eine Verschwörung gestoßen im Zusammenhang mit einem Medikament. Die Namen des Medikaments und des Herstellers würden weder sie noch sonst jemand jemals erfahren. Er habe Kontakt zu dem Unternehmen aufgenommen. Man sei schnell handelseinig geworden. Erhebliche Geldmengen seien geflossen. Geheimhaltung sei oberstes Gebot. Erledigt euern Job und stellt keine Fragen. Wir werden eine nette, kleine Kanzlei aufbauen, mit der wir jede Menge Geld machen und dabei noch ein wenig Spaß haben.
Wer würde so ein Angebot ablehnen?
Miss Glick begrüßte Adelfa Pumphrey, als wäre sie die erste Mandantin, die die brandneue Kanzlei betrat - was sogar stimmte. Alles roch neu, die Farbe, der Teppich, die Tapete, die italienischen Ledermöbel im Empfangsbereich. Sie brachte ihr Wasser in einem Kristallglas, das noch nie benutzt worden war. Dann wandte sie sich wieder ihrer Beschäftigung zu, die darin bestand, ihren neuen Schreibtisch aus Glas und Chrom einzurichten. Jetzt war Paulette an der Reihe. Sie nahm Adelfe mit in ihr Büro, um das Vorgespräch zu führen, das mehr war als nur Smalltalk unter Frauen. Sie machte sich Notizen über Adelfas Familie und Hintergrund, die sich mit den Informationen von Max Pace deckten. Und sie fand ein paar passende Worte für die trauernde Mutter.
Bislang waren alle Angestellten schwarz, was Adelfa ein beruhigendes Gefühl vermittelte.
»Vielleicht haben Sie Mr Carter schon einmal gesehen«, sagte Paulette und hakte damit einen weiteren Punkt der vagen Tagesordnung ab, die sie und Clay erstellt hatten. »Er war im Gericht, als Sie dort waren. Der Richter hatte ihn angewiesen, Tequila Watson zu vertreten, aber er ist von dem Mandat zurückgetreten. So kam es, dass er in diese Geschichte involviert wurde.«
Adelfa blickte erwartungsgemäß verwirrt drein.
Paulette fuhr ohne Pause fort. »Wir haben fünf Jahre lang im OPD zusammengearbeitet. Erst vor ein paar Tagen haben wir gekündigt und diese Kanzlei eröffnet. Sie werden ihn mögen. Er ist ein sehr netter Mensch und ein guter Anwalt. Ehrlich und loyal seinen Mandanten gegenüber.«
»Sie haben gerade erst aufgemacht?«
»Ja. Clay wollte schon seit langem eine eigene Kanzlei. Er hat mich gebeten mitzumachen. Sie sind in sehr guten Händen, Adelfa.«
Die Verwirrung in Adelfas Miene nahm zu.
»Haben Sie Fragen?«, wollte Paulette wissen.
»So viele, dass ich gar nicht weiß, wo ich anfangen soll.«
»Verstehe. Ich rate Ihnen Folgendes: Stellen Sie nicht zu viele Fragen. Ein großes Unternehmen ist bereit, Ihnen viel Geld zu geben, damit Sie den Tod Ihres Sohnes nicht vor Gericht bringen. Wenn Sie zögern und zu viel wissen wollen, kann es passieren, dass Sie am Ende mit leeren Händen dastehen. Nehmen Sie das Geld, Adelfa. Nehmen Sie es, und machen Sie sich vom Acker.«
Als schließlich die Zeit gekommen war, Mr Carter kennen zu lernen, führte Paillette Adelfa den Flur entlang zu einem großen Eckbüro. Clay war eine Stunde lang nervös auf und ab gegangen, doch jetzt begrüßte er sie ruhig und hieß sie freundlich in der Kanzlei willkommen. Seine Krawatte saß locker, die Ärmel hatte er hochgekrempelt, der Schreibtisch war über und über mit Akten und Papier bedeckt, als kämpfte er an vielen Fronten gleichzeitig. Plangemäß blieb Paulette, bis das Eis gebrochen war, und entschuldigte sich dann.
»Ich kenne Sie«, sagte Adelfa zu Clay.
»Ja, ich war im Gericht, als gegen den Mörder Ihres Sohnes Anklage erhoben wurde. Der Richter hat mir den Fall aufgezwungen, aber ich bin ihn wieder losgeworden. Jetzt arbeite ich auf der anderen Seite.«
»Erzählen Sie.«
»Sie sind sicherlich verwirrt von alledem.«
»Ziemlich.«
»Es ist im Grunde ganz einfach.« Clay setzte sich auf den Rand des Schreibtischs und blickte ihr in das hoffnungslos irritierte Gesicht. Die Arme vor der Brust verschränkend, versuchte er, so auszusehen, als würde er so etwas ständig tun. Er erzählte die Geschichte von dem bösen Pharmariesen. Es war im Wesentlichen die gleiche Version, die er Rodney präsentiert hatte, etwas ausführlicher und farbenfroher vielleicht, ohne dass sie jedoch zusätzliche Fakten enthielt. Adelfa saß in einem tiefen Ledersessel, die Hände im Schoß ihrer Uniformhose gefaltet, schaute, ohne zu
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